Als Bülent Ciftlik an ihrer Tür klingelte, waren die meisten seiner Nachbarn überrascht, oft beeindruckt. Das habe er, schrieb einer an den jungen SPD-Politiker, in zwanzig Jahren nicht erlebt: Dass sich ein Kandidat persönlich vorstellt, damit der Wähler sich ein Bild machen kann.
Äußerst angetan wünschte der Mann ihm viel Glück. Ein dreiviertel Jahr lang hat der 35-jährige Ciftlik neben seinem Beruf als Sprecher der Hamburger SPD im Wahlkreis Altona unzählige Treppenhäuser erstiegen und an 7000 Wohnungstüren geklingelt. Da bot er sich mit Broschüre und SPD-Kugelschreiber in der Hand für ein Gespräch an.
Als "Hamburgs härtester Wahlkämpfer" feierte ein Boulevardblatt den persönlich sehr gewinnenden Politologen, ein anderes preiste den in Hamburg geborenen Sohn anatolischer Gastarbeiter als "Barack Obama von Altona".
Ciftliks Name steht für eine kleine Sensation und die charmante Seite des neuen Hamburger Wahlrechts, über das es in der Hansestadt sonst eine Menge Unmut gegeben hat. Zum ersten Mal konnten die Hamburger neben der Landesliste persönliche Favoriten ankreuzen und so nach vorn schieben. Ciftlik, der bei seinem Einsatz fünf Kilo Gewicht verlor, kam so trotz eines aussichtslosen Listenplatzes in die Bürgerschaft.
Bei Al Gore abgeguckt
Vor der Wahl wurde viel Aufwand getrieben, um Wählern Angst vor dem komplizierten Wahlrecht zu nehmen. Es gab dann manche Probleme, das Fiasko aber kam hinterher. Beim Zählen lief so viel schief, dass Ergebnisse nachgebessert werden mussten und die Verkündung des amtlichen Endergebnisses bis zu diesem Freitag verschoben wurde.
Dafür aber zeigt sich jetzt, mit wie viel Freude die Wähler die Gelegenheit nutzten, die Hierarchie der Parteien durcheinanderzuwirbeln. Am Ende gelang es drei Kandidaten, alle von der SPD, von hinten an anderen vorbei ins Parlament einzuziehen.
Während eines Studienaufenthalts hatte Ciftlik in den USA beim Wahlkampf von Al Gore geholfen und beobachtet, wie wichtig die persönliche Begegnung sein kann. Dabei lernte er auch, dass ein Kandidat vorher ein exaktes Sozialprofil von jedem Quartier, ja einzelnen Straßenzügen seines Wahlkreises entwickeln sollte, um für Haustür-Gespräche vorbereitet zu sein.
So gewappnet machte er sich auf den Weg. Ohnehin bewegte er sich in seinem Kiez. Er ist in Altona aufgewachsen und hat fast immer in diesem Viertel an der Elbe gelebt.
Sein Vater war 1963 nach Deutschland gekommen, fing bei der Werft Blohm & Voss zunächst als Hilfsarbeiter an und blieb dort bis zur Rente. Die Mutter putzte in Büros und Arztpraxen. Er half ihr später, um sein Taschengeld aufzubessern.
Hochzeiten und Beschneidungsfeste
Nach dem Abitur studierte Ciftlik in Hamburg und Amerika Politik und Kriminologie. Dafür entschied er sich, weil er sich für Prävention, vor allem die Verhinderung von Jugendkriminalität interessierte.
Seit 2001 arbeitet er für die SPD. Es dürfte auch Enttäuschung über den hinteren Listenplatz gewesen sein, die ihn reizte, das neue Wahlrecht als Herausforderung zu sehen. Intensiv bemühte Ciftlik sich auch um die türkische Gemeinde, längst eine große Wählergruppe.
Er besuchte viele türkische Hochzeiten mit Hunderten Gästen oder Beschneidungsfeste. Oft wurde er wie ein Ehrengast empfangen und um eine Rede gebeten. Überhaupt überraschte ihn, wie offen er an fast allen Türen empfangen wurde. Nur selten wiesen Bürger Ciftlik unwirsch ab, fast jeder Dritte suchte das Gespräch.
"Oft ging es um persönliche Anliegen. Viele Frauen erzählten, wie schwer sie Familie und Beruf vereinbaren können", sagt er und verspricht, dass er jetzt die Leute ein zweites Mal überraschen möchte, indem er immer telefonisch erreichbar bleibt.