Hacker-Kongress:Netzattacke auf die Geldeintreiber

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O Kabelbaum! Beim Kongress des Chaos Computer Clubs in Hamburg tauschte sich die Hackerszene in nachweihnachtlicher Atmosphäre aus. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Der Chaos Computer Club hat ein Verfahren gegen das Abmahnwesen entwickelt - und hofft trotzdem auf die Hilfe der Politik.

Von Jannis Brühl, Hamburg

Der gute alte Ladendiebstahl, der habe doch noch seine Würde gehabt, meint Dirk Engling. "Für eine ganze Generation ist mittlerweile der erste Kontakt mit der Juristerei nicht mehr der Staatsanwalt, der so ein Verfahren einstellt" - wegen Geringfügigkeit. Junge Menschen bekämen es heute stattdessen mit einer Anwaltskanzlei zu tun, "die aus kommerziellem Interesse von jungen Menschen und deren Eltern Geld eintreibt".

Engling ist Informatiker und Aktivist des Chaos Computer Clubs (CCC). Auf dem 33. Jahreskongress des Hacker-Vereins rechnen er und die Anwältin Beata Hubrig auf der Bühne mit einem der Berufsfelder ab, die unter den Anwesenden den möglicherweise schlechtesten Ruf hat: der sogenannten Abmahnindustrie. Aus Englings Sicht kriminalisiert sie Zehntausende normale Internet-Nutzer - mit einer zweifelhaften Strategie. Dagegen haben die beiden nun eine Strategie entwickelt, passend zur Praxis der Juristen heißt sie "Abmahnbeantworter".

Während seines Vortrags beschreibt Engling "spezialisierte Anwaltskanzleien, die sich im industriellen Maßstab darauf eingeschossen haben, automatisiert Lücken in Gesetzen auszunutzen". Sie verschicken massenweise Abmahnungen an Inhaber von Internetanschlüssen, weil über diese urheberrechtlich geschütztes Material weiterverbreitet worden sein soll: Filme oder Computerspiele in Tauschbörsen, immer öfter auch Bilder von Künstlern, die auf Facebook gepostet wurden. Oft bleibt unklar, ob die Abgemahnten das Material überhaupt selbst weiterverbreitet haben. Trotzdem haften sie in vielen Fällen. Für die Kanzleien sei das Geschäft "eine Goldgrube", sagt Engling. 10 000 Abmahnungen pro Monat habe er gezählt. Der Streitwert liege meist bei 700 bis 1500 Euro, teilweise gehe es aber auch um achtstellige Beträge. Experten wissen freilich, dass solche Summen zu hoch angesetzt sind - doch viele Nutzer sind nicht so gut informiert und zahlen, aus Angst und Unwissenheit.

Hinter dem Streitwert vermutet Hubrig Kalkül: "Das ist mittlerweile totale Willkür. Es gibt Richter, die sagen 1000 Euro, andere sagen: 5000 Euro, wieder andere 15 000. Das ist wie Glücksrad." Dieser Wert sei so wichtig, weil nach ihm die Gerichtskosten berechnet würden. Bei 1000 Euro Streitwert seien es 100 bis 200 Euro, was noch "sehr übersichtlich" sei. Bei 15 000 Euro seien es dann aber mehr als 1000 Euro. "Das hat eine abschreckende Wirkung, das darf nicht sein." Schon im Strafrecht sei ja umstritten, ob es Sinn einer Strafe sein solle, andere von einer ähnlichen Tat abzuhalten. "Im Zivilverfahren geht das erst recht nicht."

Anlass für den Auftritt der beiden sind aber nicht die Abmahnungen, sondern die Gegenoffensive, an der sie arbeiten. Im Herbst haben sie für den CCC den "Abmahnbeantworter" ins Netz gestellt. Auf der Webseite können Abgemahnte mit wenigen Klicks eine Antwort an die Kanzlei erstellen. Die soll den Druck nach der ersten Abmahnung auf die Kanzlei zurückverlagern. Wenn die Kanzleien trotzdem nicht aufgeben und weiter Textbausteine verschicken, will Hubrig sie bald formell auffordern, die Kosten zu übernehmen - eine Umkehrung der Strategie der Abmahner. Einige Experten hatten das Vorgehen als unwirksam kritisiert, Hubrig verteidigt das Projekt jedoch.

"Ich würde diesen Abmahnbeantworter gern in einem halben Jahr wieder abschalten. Wenn der Gesetzgeber die Kanzleien verpflichtet, so einen Beantworter jeder Abmahnung beizulegen" - in Papierform. Betroffene Nutzer könnten dann mit einem Kreuz und einer Unterschrift die Kanzleien dazu zwingen, den automatisierten Prozess zu durchbrechen und sich tatsächlich inhaltlich mit dem jeweiligen Fall auseinanderzusetzen. Dazu verpflichten sollte sie Engling zufolge das Verbraucherschutzministerium.

Die Abmahnindustrie gefährde das freie Netz, wenn ein Internetanschluss dessen Inhaber zum Rechtsbrecher machen könne. Das Internet sei aber nicht "per se eine Gefahrenquelle", sagt Hubrig. "Wir nutzen das Internet ständig, ohne irgendwelche Schäden zu verursachen." Da lacht der ganze Saal: Im Publikum sitzen fast ausschließlich Hacker.

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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