Grünen-Parteitag:Zur Schwitzkur ins Velodrom

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Wie beim Parteitag der Grünen Joschka Fischers Kür als einziger Spitzenkandidat plötzlich doch noch spannend wurde.

Von Robert Roßmann

Und jetzt das. Da steht eine unbekannte 25-Jährige am Pult und redet den ganzen Parteitag in Rage. Wochenlang haben Bundesvorstand und Programm-Kommission den Tag vorbereitet. Fast 900Anträge gesichtet und bearbeitet. Dabei alle "Denkschulen" - wie die lahm gewordenen Flügel der Grünen inzwischen heißen - eingebunden.

Auf dass der Parteitag reibungslos über die Bühne gehe, keine Panne die journalistischen Aasgeier auf der Tribüne beglücke. Aber nun donnert Susann Worschech ins weite Rund des Berliner Velodroms: Neben Joschka Fischer müsse eine Spitzenkandidatin aufgestellt werden. Das verlangten schon die Statuten.

Außerdem müssten die Grünen Angela Merkel etwas entgegensetzen, ruft die Studentin. Stattdessen habe die Parteispitze an allen vorbei Fischer zum Allein-Kandidaten gekürt. Der Saal tobt. Eine Majestätsbeleidigung im Hause Grün. Schließlich sollte der Parteitag Fischers Krönungsmesse werden.

Es ist die erste Rede der Sozialwissenschaftlerin, ihr erster Parteitag sogar. Die blonde Frau im schwarzen T-Shirt scheint ein politisches Naturtalent zu sein.

Eigentlich ja ein Glücksfall für die Grünen, doch in den Gesichtern der Parteispitze spiegelt sich nur blankes Entsetzen: Sollte Worschechs Antrag eine Mehrheit finden, stünden die Grünen vor einem Scherbenhaufen: Fischer wäre brüskiert, der Parteivorstand diskreditiert - und das vor den Augen aller Kameras. Der wichtige Wahlkampf-Auftakt wäre vermasselt.

Dabei hatte sich der Bundesvorstand in den letzten Wochen in eine Art Red-Adair-Filiale verwandelt. Jeder denkbare Brandherd sollte abgesichert werden: die Hartz-Gegner, die Mehrwertsteuer-Erhöher, die Freunde einer höheren Ökosteuer und all die anderen "potenziellen Berichterstattungs-Versauer".

Die Sprengkraft von "Antrag V02 - KV Pankow" haben sie aber unterschätzt. Etwas gewunden fordert der Ostberliner Kreisverband da: "Der Beschluss des Parteirats zur Benennung eines Spitzenkandidaten für die möglicherweise bevorstehende Bundestagswahl wird dahingehend ergänzt, dass im Rahmen einer Doppelspitze eine bündnisgrüne Spitzenkandidatin benannt wird." Pankow, das ist auch die Heimat des alten Fischer-Antipoden und neuen Grünen-Dissidenten Werner Schulz, des Klägers gegen die Vertrauensfrage des Kanzlers.

Am 7.Juni reicht sein Kreisverband den Antrag V02 ein, die beiden Bundesvorsitzenden halten ihn spätestens mit Fischers furioser Rede bei der Vertrauensfrage des Kanzlers für erledigt. Sie empfehlen dem Parteitag "Nichtbefassung". Ein kapitaler Fehler.

So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Unmittelbar vor Fischers Auftakt-Rede, dem Fernseh-Ereignis des Tages, fordert der KV Pankow, immerhin Gastgeber des Parteitages, sein Begehren doch zu behandeln. Das Präsidium lässt abstimmen - einmal, zweimal, immer ohne klare Mehrheit. Es setzt deshalb eine schriftliche Abstimmung an.

Und im Velodrom beginnt es zu brodeln. Immer mehr Delegierte sind sauer darüber, dass der Vorstand ihnen sogar die Diskussion über eine Spitzenkandidatin verbieten will. Sie wollen den Vorstand in der schriftlichen - also geheimen Abstimmung - abstrafen. Auf dem Podium bildet sich eine Korona von Ober-Grünen um Fischer. Hektische Krisengespräche.

Im letzten Moment springt Parteichef Reinhard Bütikofer ans Pult und lässt die Debatte doch noch zu. Aber erst nach der bereits überfälligen Rede Fischers.

Gerade noch ein Held

Und so wird aus Fischers Krönungsrede auf einmal eine Bewerbungsrede. Der Außenminister geht ohne Manuskript ans Pult. Spricht von den Anschlägen in Großbritannien und der terroristischen Herausforderung. Doch dann kommen nur bekannte Bausteine aus Fischers letzten Reden. Die "Folgen von Chinas Eintritt in den Weltmarkt", auf die Deutschland reagieren müsse.

Die "drei Dimensionen der Gerechtigkeit", für die die Grünen kämpfen müssten. Lafontaines "Narrenzug am Hofe der Konservativen", und der zu früh bestellte Möbelwagen der Union ins Kanzleramt. Auch Fischer kann nicht ständig Soufflé-Reden wie neulich im Bundestag halten. Die Delegierten klatschen freundlich, nicht enthusiastisch.

Der grüne Regierungssprecher Hans Langguth schickt den Minister noch mal vor, damit der Beifall nicht zu früh abebbt. Aber nach drei Minuten ist Schluss. Fischers Hemd ist klatschnass, ihm läuft das Wasser herunter wie beim Zieleinlauf des New-York-Marathon. Gerade noch der Vertrauensfragen-Held der Partei, und schon wieder im Mittelpunkt der Kritik - das schlaucht.

Unten steht Werner Schulz. "Schade, dass Fischer die Situation nicht souverän gelöst hat", sagt der Pankower Abgeordnete. "Er hätte doch nur sagen müssen: Renate, komm' mal vor zu mir. Und Künast unter dem Beifall der Delegierten zur Spitzenkandidatin an seiner Seite ausrufen müssen." Dann wäre Fischer der Held des Parteitags gewesen. So aber kommt Susann Worschech zu ihrem großen Auftritt. "Unsere Susann", wie Schulz die Studentin aus seinem Kreisverband stolz nennt.

Der Bundesvorstand wirft der 25-Jährigen alles entgegen, was er hat. Verbraucherministerin Künast, Parteichefin Claudia Roth und NRW-Spitzenkandidatin Bärbel Höhn müssen sich politisch selbst entleiben, um den Patron Fischer zu schützen.

Künast wäre gerne Spitzenkandidatin, jetzt erklärt sie, dass es "taktisch und strategisch richtig ist, auf unseren stärksten Mann zu setzen". Roth hat soeben noch die Saarländer kritisiert, weil sie einen Mann auf Platz eins gesetzt haben. Jetzt verspürt sie "nicht das Gefühl, dass die Frauen zu kurz kommen". Und Höhn - gerade noch gleichberechtigte Spitzenkandidatin in NRW - findet, dass es "Situationen gibt, in denen es Sinn macht, von Prinzipien abzuweichen".

Der Wahlkampf werde "bretterhart". Deshalb müsse die Partei jetzt zusammenstehen und auf Fischer setzen - als ob Frauen keinen "bretterharten" Wahlkampf führen könnten. "Hier haben gerade drei sehr gute Spitzenkandidatinnen gegen die Interessen der Frauen gesprochen", kommentiert das Werner Schulz.

Roth, Höhn und Künast müssen ausbaden, was die Parteispitze in den hektischen Stunden nach Münteferings Neuwahl-Ankündigung beschlossen hat. Noch am Abend des 22.Mai hatte sich die Führung in der Berliner Wohnung von Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt getroffen, um über die Konsequenzen zu sprechen. Die Runde einigte sich, Fischer zum alleinigen Spitzenkandidaten zu küren - auch um Diadochenkämpfe zu vermeiden.

Am Tag darauf bestätigte der Parteirat den Beschluss. Anschließend wurde Fischer in der Grünen-Zentrale als alleiniger Spitzenkandidat präsentiert. Zuständig wäre der Parteitag gewesen.

Die Fraktion grummelte eine Woche später zwar, doch als Fischer klar macht, dass er nur alleine antreten wolle und muffig von dannen stapfte, fügte sich die Partei. Bis der KVPankow seinen Antrag V02 einbringt - und die drei Spitzen-Frauen der Grünen vor eine Art zweite Vertrauensfrage stellt: Sie entscheiden sich gegen die eigene Überzeugung und für Fischer und die Partei.

Mit Erfolg: Auch zwei Drittel der Delegierten stimmen gegen den Antrag aus Pankow. Erleichterung auf dem Podium. Am Abend sagt Fischer im Fernsehen: "Die Partei hat gut und richtig entschieden."

© SZ vom 11.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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