Gründungsparteitag der Linken:Im Bund der Niemalszufriedenen

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In Berlin paaren sich der Geist westdeutscher Wohngemeinschaften und der Geist des solidarischen Sozialismus. Und Oskar Lafontaine baut sich eine Welt auf, in der er Recht hat.

Kurt Kister

Am Flügel sitzt Konstantin Wecker, und er singt im Prinzip immer noch so, als ginge es wie damals, als es die DDR noch gab und Ronald Reagan regierte, gegen die Raketen: "Mach dich stark und misch dich ein." Zwar geht es an diesem frühen Abend im großen Saal des Berliner Estrel-Hotels gegen die Sozialdemokraten und die Neoliberalen und natürlich gegen Bush, aber irgendwie kann man die ja auch alle zusammenfassen, wie es Wecker laut knödelnd tut: "Nie mehr sollen uns jene lenken, die nicht mit dem Herzen denken."

Oskar Lafontaine: Prinzipientreu oder demagogisch? (Foto: Foto: ddp)

Drunten in der ersten Reihe, nahe an der Bühne, wippen Lothar, Oskar und Gregor mit ihren eher reifen Körpern und klatschen in die Hände. Wir nennen sie jetzt mal beim Vornamen, weil wir uns auf einem Parteitag befinden, der gleichzeitig den Geist des solidarischen Sozialismus ("Du, Genosse") und den Geist der westdeutschen Wohngemeinschaft ("ey du, Bärbel, ey") atmet.

Vom Lothar, dem Professor Doktor Lothar Bisky, mag man vielleicht annehmen, dass er manchmal auch mit dem Herzen denkt. Bei den anderen, speziell beim Oskar, ist das nicht so. Jetzt singt Wecker die Zeilen: "Wenn sie dann in lauten Tönen / einzig ihrer Machtgier frönen". Das passt gut, auf An- wie auf Abwesende.

Konstantin Wecker, der gerade 60 geworden ist, entspricht damit in etwa dem Durchschnittsalter der Mitglieder der neuen Linkspartei. Er gehört zum schmalen Kulturprogramm des Vereinigungsparteitags von PDS und WASG. Na ja, eigentlich ist der Barde das Kulturprogramm, es sei denn, man möchte eine Rede des Theater-Intendanten Frank Castorf ("wenn man den Politikern in die Augen schaut, sieht man Lügen, Lügen, Lügen") für Kultur und einen aus der Zeit gefallenen Auftritt des Boxkabarettisten Werner Schneyder für Programm halten.

Überall nur Gegner

In Wecker wohnt immer noch das Feuer des Niemalszufriedenen, was ihn mit Oskar Lafontaine verbindet, obwohl Wecker eigentlich ein guter Freund von Rudolf Scharping ist. Lafontaine ist das nicht. Noch etwas haben Wecker und, im weiteren Sinne, Lafontaine gemeinsam: Der Sänger hat um den Hals eine Kette aus bunten Holzkugeln, Regenbogenfarben. Genau die gleiche Kette trägt, nein, nicht Lafontaine, sondern eigenartigerweise der zum Parteitag mitgenommene Hund von Thorsten Hild, der Lafontaines Büro im Bundestag leitet. Seltsam.

Niemalszufriedene ist ein ganz guter Begriff für jene rund 800 Delegierten, die sich am Freitag und Samstag im Estrel versammeln. Die neue Partei lehnt, zumindest offiziell und wenn sie nicht gerade in einer Landesregierung ist wie in Berlin, vieles, sehr vieles ab, was die anderen Parteien vertreten. "Die Menschen erwarten von uns, dass wir nicht sind und auch nicht werden wie die anderen Parteien", sagt Sahra Wagenknecht, und als man das hört, erinnert man sich an die Gründung der Grünen, bei der vor 30 Jahren auch solche Dinge gesagt wurden. Die als besonders links, ja luxemburgisch geltende Wagenknecht möchte in gar keine Regierung. Außerdem ist sie ein gutes Beispiel dafür, dass die Linke eigentlich nur politische Gegner kennt, bis hinein in die eigenen Reihen.

Auch die Frauenquote wird in der Linken (zumindest von den Frauen) rigoros verfochten. "Nein", ruft eine Delegierte in den Saal, "die Linke ist keine feministische Partei. Das macht mich traurig." Wer jemals in Selbsterfahrungsgruppen und Friedensplena gesessen hat, wer an seiner Beziehung arbeiten musste oder einen gemeinsamen Aufruf mitformulieren durfte, der kennt und fürchtet diesen Satz und seine Betonungen: "Weißt du, das macht mich wirklich traurig."

Wie einst bei den Grünen sollen auch bei der Linken Amt und Mandat in den Parteifunktionen möglichst getrennt sein. Außerdem führt man endlose Geschäfts- und Wahlordnungsdebatten, was ein identitätsstiftendes Merkmal aller revolutionären Parteien in Deutschland war, ist und auf alle Zeiten sein wird. Auch diese Linke würde, käme es zum Umsturz, erst einmal eine Bahnsteigkarte lösen, und zwar quotiert, bevor sie den Bahnhof stürmte. Noch wahrscheinlicher ist allerdings, dass man anstatt den Sturm einzuleiten, ein Papier verfassen würde, warum die Bahn wieder in Gemeineigentum überführt werden muss.

Die neue Partei Die Linke: Sie lehnt vieles ab, was die anderen Parteien vertreten. Sehr vieles. (Foto: Foto: ddp)

Zu den Eigenheiten dieser Partei gehört auch ihr Gründungsdatum. Man wählte den Samstag, 16. Juni weil Sonntag, der 17.Juni, nicht in der Parteigeschichte als Gründungstag vermerkt werden sollte. Der frühere Tag der Deutschen Einheit ist vielen, die aus der PDS kommen, bis heute nicht geheuer. Von den rund 72.000 Mitgliedern der neuen linken Partei waren 40.000 bereits in der ganz alten linken Partei, der SED. Auch diese Linke also ist eine SED-Nachfolgepartei. Vielen ihrer jüngeren Anhänger und Sympathisanten ist das relativ gleichgültig, zumal, wenn sich die Linke als mitorganisierende Kraft bei neueren politischen Herzensanliegen wie den Anti-G-8-Demos engagiert.

So findet sich über die Generationen hinweg in der Linken doppelte Expertise: Die einen wissen wie es war, vor dem Zaun von Heiligendamm zu demonstrieren; etliche andere können sich noch daran erinnern, wie es war, hinter der Mauer von Berlin zu regieren. Ersteres ist schon eine Art Gründungsmythos der neuen Partei geworden; Letzteres behält man lieber für sich. Nur am Rande des Parteitages kann man im Vorbeigehen Sätze aufschnappen wie diesen, gesprochen von einer älteren PDS-Delegierten zu einer Freundin: "Wer durch die Wende gekommen ist, überlebt alles."

"Alles aufgearbeitet"

Das Übergewicht der alten SEDler in der Mitgliedschaft wird beim Parteitag nicht sichtbar. Man wollte ein anderes Gesicht präsentieren, auch um der Skepsis der WASG nicht Vorschub zu leisten. Die PDS-Delegierten sind in der Mehrheit jünger als die Mitglieder. Was die Alten von der neuen Partei erwarten, formuliert Hans Modrow, Ehrenvorsitzender der PDS, in seiner Abschiedsrede so: "Die übergroße Mehrheit der PDS-Mitglieder war eng mit der DDR verbunden...Ihre Erwartungen an einen notwendigen differenzierten Umgang mit der Geschichte sind oft nicht erfüllt worden."

Gregor Gysi, letzter Vorsitzender der SED und erster Chef der PDS, streichelt in einer Rede am späten Freitagabend, seiner und der überhaupt letzten Rede auf einem Parteitag der PDS, die immer noch verwundeten Seelen der ehemaligen SED-Funktionäre. Er tut dies, wie meistens, rhetorisch brillant, und am Schluss hat man fast das Gefühl, die SED habe eigentlich selbst die DDR abgeschafft, jedenfalls ganz entscheidend daran mitgewirkt. Die PDS jedenfalls sei, sagt Gysi, bis heute die wirkliche "Adresse für die Geschichte" gewesen: "Das haben wir alles aufgearbeitet."

Es gibt stehend geklatschten Beifall, ganz lang, für Hans Modrow sowie zwei nordische Gehstöcke nebst Wanderschuhen als Geschenk. Nun wandert Modrow, der in Zukunft in einer Art Ältestenrat der Linken sitzen soll, samt dem Springteufel Gysi, der Kommunistischen Plattform und dem abwägenden Professor Bisky in die neue Partei.

Bei der anderen Hälfte dieser Partei, der WASG, gibt man sich zur Verschmelzung sehr selbstbewusst. Da ist natürlich Oskar Lafontaine, der zu jeder Zeit und in jeder Partei stets nicht nur definiert hat, wie man Selbstbewusstsein schreibt, sondern auch immer die Avantgarde darstellte, selbst, wenn vorne gerade einmal hinten war, wie damals mit dem kleinen Maurice auf den Schultern. Wenn man so will, hat die Linke, jedenfalls in dieser Form, wie sie sich jetzt konstituiert hat, zwei Gründungsväter aus der SPD.

Der eine ist Oskar Lafontaine, in dem etliche einen prinzipientreuen, charismatischen Politiker sehen, während andere - in Deutschland stellen die noch die Mehrheit - ihn für einen ebenso eitlen wie demagogischen Schreihals halten. Der andere Gründungsvater der Linken ist, horribile dictu, Gerhard Schröder. Ohne Schröders Reformpolitik hätte es die WASG nicht gegeben. Und ohne Schröders vorgezogene Neuwahlen von 2005 säße sie weder heute als Anhängsel der PDS im Bundestag, noch wäre es zur jetzt vollzogenen Einigung der ostdeutschen Regionallinken und der westdeutschen Protestlinken gekommen. Wenn es für die SPD blöd geht, wird die Linkspartei noch das am längsten wirkende Erbe des gewesenen SPD-Kanzlerparteichefs Schröder.

Sonst läufts wie bei Joschka

In fast allen Redebeiträgen im Estrel berufen sich die WASG-Leute von Lafontaine über Klaus Ernst bis hin zu phänotypisch manchmal recht zotteligen Delegierten auf den Agenda-2010-Verrat der SPD im Allgemeinen und den des Großbonzen Schröder im Besonderen. Viele dieser Leute, sicher nicht alle, und vor allem nicht die Jungen, sind eigentlich Fleisch vom Fleische der SPD. Das weisen ihre Biografien aus - SPD, Verdi, IG Metall, Arbeiterwohlfahrt - aber auch ihre Argumente, ihre Art zu reden und manchmal sogar ihre Kleidung, wie etwa die bei SPD-Frauen einer bestimmten Generation auch im Bundestag beliebte GEW-Hemdbluse.

Vagabundiert man zwischen den beiden Sälen hin und her, in denen vor der Verschmelzung PDS und WASG getrennt tagen, fällt auf, dass bei den Ostlinken viel darüber geredet wird, wie man nun dank der bundesweiten Ausdehnung endlich auf Augenhöhe mit den anderen Parteien angekommen sei. Die Westlinken kennen diesen spezifischen Ost-Minderwertigkeitskomplex nicht. Klaus Ernst, einer der WASG-Gründer und Häuptlinge, führt aus, dass ohne die WASG die PDS eine ostdeutsche Regionalpartei bleiben würde. "Wir bringen den Westen in die Linkspartei ein", sagt Ernst, der wegen seiner bayerischen Herkunft fast so klingt wie Erwin Huber, was beiden nicht recht sein dürfte. "Außerdem sind wir der spannendere Teil der Linken."

Damit spielt Ernst auf die Überalterung der PDS an und deren Saturierung als Ostpartei ohne großes Wachstumspotenzial im Westen. Klaus Ernst und der langjährige SPD-Politiker Ulrich Maurer bilden im Parteivorstand um den westlichen Teil der Doppelspitze Bisky und Lafontaine so etwas wie die Lafontaine-Gang.

Wie der Machtmensch Lafontaine tickt, erwies sich im Zusammenhang mit der leidigen Trennung von Amt und Mandat. Der WASG-Parteitag war nahe daran, einen Beschluss zu verabschieden, der auch die Folge gehabt hätte, dass Lafontaine, Ernst und Maurer nicht gemeinsam ins zwölfköpfige Präsidium der Partei hätten einziehen können.

Lafontaine setzte sich zur Wehr, indem er auch darauf verwies, dass es bei den Grünen einen ähnlichen Beschluss gegeben habe, den Joschka Fischer aber mit der Installierung seiner informellen Fischer-Gang unterlaufen habe. Das Signal war deutlich: Beschließt es bitte nicht. Wenn ihr es doch beschließt, mach' ich es eben wie der Fischer. Es wurde nicht beschlossen.

Die Linke also hat jetzt eine Doppelspitze, aber deswegen hat sie nicht zwei Parteichefs. Wenn sich Lothar Bisky (83,6 Prozent der Stimmen) nicht sehr verändert, wird Lafontaine (fast 88 Prozent) die Partei als Spitzenrepräsentant führen. Bisky mag ein Mann des geschriebenen Wortes sein, das von ihm gesprochene Wort dagegen ist nicht sein Freund.

"Hier ist Die Linke"

Seine Reden liest er eins zu eins vom Manuskript ab, das er dabei manchmal feindselig beäugt: in der Haltung der Schildkröte den Kopf zwischen die Schultern gezogen, die Stimme in der Betonung des Lesenden, nicht des Sprechenden. Eine seiner beiden Reden auf dem Parteitag schließt mit dem Satz: "Hier ist die Linke." Der müsste eigentlich gerufen werden, laut, in Versalien und mit Betonung auf jeder einzelnen Silbe: "HIER IST DIE LIN-KE!" Bei Bisky kommt in etwa heraus: "HierIstdielinke". Danke, setzen.

Ganz anders natürlich Lafontaine. Er ist immer noch ein begnadeter Redner ohne jedes Manuskript. Er fühlt, was ankommt, und je besser etwas ankommt, desto mehr spitzt er es zu. So ist er Ministerpräsident und SPD-Kanzlerkandidat geworden, so hat er Rudolf Scharping in Mannheim gestürzt, und so ist er zurückgekommen und nun das zweite Mal in seinem Leben Parteivorsitzender geworden. Die Reden, die er in Berlin hält, sind so, dass sich eine verzagte Partei wie die SPD in einer Mediengesellschaft, in der es oft mehr auf das Reden als auf das Denken ankommt, vorsehen muss.

Sicher, Lafontaine verliert schnell Maß und Ziel. Bush und Blair und die anderen sind "Terroristen"; in Deutschland herrscht eine Scheindemokratie; die anderen Parteien brechen wegen der Auslandseinsätze der Bundeswehr andauernd die Verfassung; das Kapital regiert die CDU. Wenn Lafontaine, wie auf diesem Parteitag, das Gefühl hat, er muss besonders links sein, dann baut er eine Welt auf, in der allein seine Partei, also er, Recht hat und die anderen sich in einer großen Verschwörung von Verrat, Dummheit und Gesetzesbruch verstricken. Hin und wieder reißt es ihn so weit fort, dass man das Gefühl hat, dieser Mann würde fast alles sagen, wenn er glaubte, es nütze ihm in einer konkreten Situation.

Das war so, als er damals im Jargon des Rechtsextremen vor "Fremdarbeitern" warnte. Auch in Berlin gibt es so einen Moment, als Lafontaine erläutert, welche Traditionen er für die neue Partei sieht. Die Arbeiterbewegung natürlich sowie die unter Bismarck und dann von den Nazis verfolgten Linken.

Des Weiteren fühle man sich "dem Erbe derer verpflichtet, die als Sozialdemokraten...in der DDR eingesperrt waren wie den Kommunisten, die in der Bundesrepublik...eingesperrt wurden." Nicht nur, dass er DDR und Bundesrepublik in der Praxis politischer Verfolgung gleichsetzt. Er blendet auch aus, dass er jetzt Chef einer Partei ist, in der die Sympathien für die SED, die Partei der einstigen Verfolger, noch ziemlich groß sind. Macht aber nichts, es wird gejubelt von den Delegierten.

© SZ vom 18.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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