Großbritannien und Europa:Cool und fair

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Theresa May ist keine eiserne sondern eine eiernde Lady. Sie hat ihr Land ohne Not so geschwächt, dass man von historischem Versagen sprechen kann. Dennoch sollte die EU gerade jetzt offen gegenüber den Briten bleiben.

Von Stefan Ulrich

Das muss man erst einmal zustande bringen: Noch vor einem Jahr war Großbritannien ein hochgeschätztes Mitglied der Europäischen Union mit einer Tory-Regierung, die im Parlament über die absolute Mehrheit verfügte. Doch die beiden Premierminister David Cameron und Theresa May haben es geschafft, dass das Königreich heute durchs Niemandsland des Brexit-Prozesses driftet und keine stabile Regierung mehr hat. Erst verspekulierte sich Cameron beim Referendum über die EU-Mitgliedschaft. Dann verkalkulierte sich May mit vorzeitigen Neuwahlen. In einer Mischung aus Arroganz, Unfähigkeit und Opportunismus haben die beiden Tories ein Land, das so charakterstarke Premiers wie Winston Churchill und Margaret Thatcher hervorgebracht hat, ohne Not in die Krise geführt und nebenbei ganz Europa geschwächt. So viel Versagen verdient das Adjektiv historisch.

Die Gründe für das unerwartet schlechte Ergebnis Mays und ihrer Konservativen bei der Parlamentswahl am Donnerstag liegen auf der Hand: Die Regierungschefin hat den Souverän, die Bürger, nicht überzeugt. Sie ist keine eiserne, sondern eine eiernde Lady, ohne Prinzipien, ohne Haltung. May hatte sich in der Referendumskampagne für ein Ja zur EU ausgesprochen. Als dann - in einer so fundamentalen Frage - das Nein siegte, hätte sie sagen müssen: Ich akzeptiere selbstverständlich das Votum des Volkes, aber ich halte es für falsch. Deswegen möchte ich keine Regierung anführen, die Großbritannien aus der EU führt. Das sollen diejenigen machen, die für den Austritt warben.

Premierministerin Theresa May ist keine eiserne Lady, sondern eine eiernde. Trotzdem sollte die EU den Briten gegenüber offen bleiben

Stattdessen verwandelte sich May als neue Premierministerin in eine beinharte Brexit-Frontfrau. So vermittelte sie den Eindruck: Macht geht vor Rückgrat. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen schätzen viele Menschen - insbesondere junge, deren Idealismus noch nicht abgeschliffen ist - aber Politiker mit Überzeugung und mit dem Mut, für diese einzustehen. Deshalb haben die vorgeblichen sozialistischen Dinosaurier Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien verblüffend viel Erfolg - Corbyns Labour-Partei kam jetzt sogar auf 40 Prozent der Stimmen. Deswegen siegte in Frankreich ein Emmanuel Macron, der sich in einer nationalistisch aufgeheizten Stimmung nicht für weniger, sondern für mehr Europa aussprach. Und auch deshalb möchte heute eine Mehrheit der Deutschen wieder Angela Merkel als Bundeskanzlerin, obwohl viele mit ihrer Flüchtlingspolitik gerade nicht einverstanden sind.

Die Personalisierung der Politik in der heutigen Brot-und-Spiele-Gesellschaft wird oft beklagt. Wenn sie jedoch dazu führt, dass Menschen gewählt werden, weil sie echt, weil sie authentisch wirken, so hat sie auch ihr Gutes.

Großbritannien und Europa aber müssen nun erst einmal mit diesem Wahlergebnis leben. Und womöglich auch noch mit dieser Premierministerin. Denn Theresa May zeigte am Freitag nicht einmal die Größe zurückzutreten. Sie klammert sich an die Macht und verbrämt das als Dienst am Land. Die Tories aber werden mit einer Minderheitsregierung oder in einer wackligen Koalition mit den nordirischen Unionisten regieren müssen. Sie sind damit bei den kommenden harten Austrittsverhandlungen mit der EU auf Abgeordnete angewiesen, die einen weichen Brexit wollen. Dies wird im Regierungslager zu immensen Spannungen mit den Hardlinern unter den Tories führen. Womöglich werden die Briten bald schon wieder wählen müssen. Diese Instabilität ist schlecht für die Verhandlungen, schlecht für die Wirtschaft, die Briten und alle Europäer.

Dennoch führt diese Wahl auch zu Erkenntnissen, die optimistischer stimmen. Die Radikalisierung scheint abzuebben, die in Großbritannien die auf ein Ja oder Nein verkürzte Brexit-Frage auslöste. Die Krawallpartei Ukip erhält keinen einzigen Sitz mehr. Nationaler Rausch weicht dem nüchternen Streit über Sachthemen. Der Labour-Spitzenkandidat Corbyn hat die soziale Frage gestellt, die in jeder Gesellschaft immer wieder neu beantwortet werden muss. Sind Armut und Reichtum gerecht verteilt? Wer sollte wie viel Steuern bezahlen, wie hohe Renten beziehen? Was kann der Staat, was die Privatwirtschaft besser? Es sind Grundfragen des Zusammenlebens, die kein Referendum löst. Zumal die Zweifel der Briten wachsen, ob das Ja zum Brexit eine kluge Entscheidung war.

Die EU muss sich nun darauf konzentrieren, die Brexit-Verhandlungen ordentlich hinter sich zu bringen. Sie sollte dabei jene coole Fairness zeigen, die gern den Briten nachgesagt wird. Es wäre kindisch, London bestrafen zu wollen. Eine möglichst enge Zusammenarbeit mit Großbritannien ist auch künftig wünschenswert. Sie setzt voraus, dass die Briten nicht nur Rechte einfordern, sondern auch Pflichten übernehmen.

Europa wird dabei geschlossener auftreten können, als es zunächst den Anschein hatte. In Frankreich darf Präsident Macron bei den Parlamentswahlen am Sonntag und eine Woche darauf mit einer Regierungsmehrheit rechnen. Auch in Deutschland wird nach der Bundestagswahl im September wieder eine klar proeuropäische Regierung antreten. In Italien dagegen wird es dieses Jahr wohl doch keine vorgezogenen Neuwahlen geben, sodass die europafreundliche Regierung Gentiloni weitermachen kann.

Das sind günstige Voraussetzungen, um sich an die Kernsanierung der Europäischen Union zu machen, in der Euro-Zone, bei der Flüchtlingspolitik, der Rüstungsbeschaffung und der Verteidigung ihrer Werte im Inneren und nach außen. Falls dies gelingt und überzeugend erklärt wird, werden die Nationalisten an Boden verlieren. US-Präpotent Donald Trump und die Brexit-Bürde der Briten haben bereits zur Ernüchterung geführt. Der Wert einer Völkergemeinschaft, die Konfrontation durch Zusammenarbeit ersetzt, wird klarer wahrgenommen. Über Jahrzehnte war das sich einigende Europa ausgesprochen attraktiv. Das kann es künftig wieder werden. Falls dann, irgendwann, erneut die Briten mitmachen wollen, seien sie hochwillkommen.

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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