Großbritannien und die Verteidigungspolitik der EU:Deutliche Worte mit unklarer Botschaft

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Tony Blair ist für eine "starke europäische Verteidigung". Aber, so fügte der Premier auf dem EU-Gipfel in Brüssel hinzu, "nichts darf die Verteidigungsgarantien der Nato in Gefahr bringen". Wo also stehen sie nun, die Briten?

(SZ vom 18.10.2003) - Wo also stehen sie nun, die Briten? "Genau diese Frage", so räumten deutsche und französische Diplomaten am Ende des Brüsseler EU-Gipfels achselzuckend ein, "gilt es nun zu klären".

Was so viel heißt wie: Wir wissen es nicht. Und der, der es am besten wissen müsste, wollte es am Freitag nicht sagen: Mit starken, nur eben nicht sonderlich klaren Worten trat Tony Blair zum Abschluss des Brüsseler EU-Gipfels vor die Fernsehkameras und verkündete, wo in der Welt das Vereinigte Königreich seinen Platz sehe: "Stark in der EU, stark mit den USA." Ja, auch London befürworte "eine starke europäische Verteidigung".

Aber, so fügte der Premier im selben Atemzug hinzu, "nichts darf die Verteidigungsgarantien der Nato in Gefahr bringen". Da stand er wieder, der Mittler zwischen den Kontinenten, im Geiste mit einem Bein in Brüssel, mit dem anderen in Washington.

Europas Rätsel jedoch, ob Großbritannien denn nun mitmacht bei den Versuchen der Deutschen und Franzosen, die EU als eigenständige Kraft in der Sicherheitspolitik zu etablieren - das mochte Blair nicht lösen.

Vor vier Wochen, beim Dreier-Gipfel mit Jacques Chirac und Gerhard Schröder in Berlin, da schien der Brite schon mal weiter. Da hatte Blair der Kompromissformel zugestimmt, wonach "die EU über eine gemeinsame Fähigkeit zur Planung und Führung von Operationen ohne Rückgriff auf Nato-Mittel und -Fähigkeiten verfügen muss".

"Britischer Sprung auf den Kontinent"

Sicherheitsexperten in Berlin deuteten dies damals als "großen Fortschritt", gar "als britischen Sprung auf den Kontinent". Denn Blair habe seinerzeit nicht nur eingeräumt, dass Europa auch mit einer Avantgarde-Gruppe nur weniger EU-Staaten voranschreiten könne, um sich im Rahmen der so genannten "strukturierten Zusammenarbeit" im Falle internationaler Krisen als bewaffnete Friedensmacht zu profilieren.

Nein, der treueste Verbündete der US-Regierung räumte eben auch ein, dass dieses Kerneuropa dazu eine Art "Operatives Hauptquartier" benötige, von wo aus Militärs solcherlei Rettungsmission planen und führen könnten.

Dieses Zugeständnis hat Blair seither eine Menge Ärger bereitet. Denn nicht nur das eigene Verteidigungsministerium und sein Außenamt rebellierten hinter den Londoner Kulissen, auch die US-Regierung intervenierte.

Washington argwöhnt seither, der Premier mache nun gemeinsame Sache ausgerechnet mit jener "Viererbande" aus Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg, die Ende April eine solche europäische, von der Nato unabhängige Kommandozentrale im Brüsseler Vorort Tervueren platzieren wollte.

Zwar haben Brüssel, Paris und Berlin inzwischen konzediert, das belgische Dorf aus ihren Plänen zu streichen. Aber das Konzept lebt. Nun wollen sie im EU-Viertel ein Hauptquartier samt High-Tech und hochrangigen Offizieren schaffen, das im Ernstfall - wie jüngst bei der EU-Operation "Artemis" im Kongo - die Fäden in der Hand hielte.

Washington weiß: Machen die Briten mit, dann werden auch viele andere, zumal kleinere EU-Länder lieber in ein europäisches Headquarter investieren, als sich für teures Geld ein eigenes nationales Hauptquartier zu bauen.

Wie ernst die Bush-Regierung die Lage sieht, hat am Mittwoch Amerikas Nato-Botschafter Nicholas Burns artikuliert. Der warnte seine alliierten Kollegen vor der angeblich "bedeutendsten Bedrohung für die Zukunft der Nato" und verlangte eine Sondersitzung mit der EU. Der scharfe Ton des Amerikaners provozierte Widerspruch, sogar von Spaniern, Italienern, Holländern und Briten, die bisher die deutsch-französischen Pläne mit Skepsis betrachtet hatten.

Jacques Chirac immerhin, beim EU-Gipfel am Freitag deutsche und französische Stimme, zeigte "viel Verständnis" für die Probleme "der britischen Freunde". Er wartet nun ab, wie alle. Aber er kündigte auch an: Falls Tony Blair zaudert, gehen Berlin und Paris allein voran.

© Von Christian Wernicke - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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