Großbritannien: Premier Brown vor dem Aus:Der taumelnde Boxer

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Ein neuer Rücktritt in der Regierung, ein katastrophales Ergebnis für die Labour-Partei bei der Europawahl: Gordon Brown erwartet eine harte Woche. Wer steht noch hinter dem Premier?

Gökalp Babayigit

Am Montagabend trifft sich Gordon Brown mit den Unterhaus-Abgeordneten seiner Partei - und wenn es nach seinem Parteigenossen Stephen Byers geht, haben diese bis dahin eine Frage für sich beantwortet: "Ist Gordon Brown ein 'Winner'? Oder ist Gordon Brown ein 'Loser'?"

Wer steht noch hinter ihm? Premierminister Gordon Brown hat eine weitere schwierige Woche vor sich. (Foto: Foto: Getty)

Seit etlichen Wochen taumelt Großbritanniens Labour-Partei wie ein Boxer, der seit mehreren Runden herbe Schläge einstecken muss. Der K.o. scheint nur eine Frage der Zeit. Doch der Premierminister weigert sich, zu Boden zu gehen. Und seine Parteigenossen trauen sich nicht, ihn aus dem Ring zu nehmen.

Bei der Europawahl hatte die Partei mit einem schlechten Ergebnis gerechnet - aber selbst gemessen an diesen Erwartungen ist der Ausgang der Wahl eine gigantische Katastrophe. Dabei hießen die Gegner nicht unbedingt British National Party oder europakritische UKIP, sondern Spesenskandal und Regierungskrise. Die Briten wählten Labour nur zur drittstärksten Kraft. Mit 15,3 Prozent verloren die Sozialdemokraten sieben Prozentpunkte und Rang zwei - überholt von der Unabhängigkeitspartei UKIP, die mit 17,4 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielte.

Weitere Fakten des Labour-Schlamassels: Die Tories wurden stärkste Partei mit 28,6 Prozent und selbst die ausländerfeindliche BNP erkämpfte sich mit ebenfalls zwei Sitze. Nicht nur für Gesundheitsminister Andy Burnham ist der Einzug der Rechten aus der BNP "sehr verstörend". Schuld daran: die politikverdrossene Stimmung im Land, verursacht durch den Spesenskandal.

Doch welche Konsequenzen hat die Europawahl für den unermüdlich kämpfenden Premierminister? Um die erhitzten Gemüter nach der Niederlage zu beruhigen, will Brown nach Angaben der Londoner Times die Teilprivatisierung der britischen Post nun doch nicht sofort vollziehen.

Der Verkauf der Anteile an der Royal Mail ist in den Reihen der Sozialdemokraten sehr umstritten. Doch ob der Premier überhaupt noch Angst haben muss vor Königsmördern in seiner eigenen Partei, darüber streiten sich die Beobachter in London.

Erst vergangene Woche waren fünf Minister sowie mehrere Staatssekretäre zurückgetreten und hatten Brown an den Rand des politischen Abgrunds gedrängt. Am Montag folgte ihnen die Umwelt-Staatssekretärin Jane Kennedy.

Aber: Nachdem Arbeitsminister James Purnell seinen Rücktritt erklärte und Premier Brown öffentlich aufforderte, es ihm im Interesse der Partei gleichzutun, sprangen die Größen der Partei nicht auf den Zug auf, im Gegenteil. Führende Ressortchefs wie Schatzkanzler Alistair Darling, Außenminister David Miliband und Industrieminister Peter Mandelson übertrafen sich mit Loyalitätsbekundungen und übergossen Purnell dafür mit Kritik. Nun sind die Blätter voll von beißender Häme für die feigen Labour-Schwergewichte, die es nicht schaffen, den glücklosen Premier abzulösen.

"Wenn Brown stürzt, dann wird dies nicht das Werk dieses feigen Kabinetts gewesen sein", ätzt der Daily Telegraph. Im Zentrum der Kritik: Miliband und Alan Johnson, die "weit davon entfernt waren, Purnell zu folgen und den politischen Spielraum zu nutzen, den er geschaffen hatte". "Was für zwei mädchenhafte Männer, die sich furchtsam verstecken vor dem Ruf der Pflicht und der Geschichte", verurteilte die konservative Zeitung die als Kronprinzen bezeichneten Politiker. "Das war 'Behind-the-Sofa-Government', Politik von hinterm Sofa."

Dass der Wille in Reihen der Labour-Abgeordneten da ist, Browns Überlebenskampf abzukürzen, ist ein offenes Geheimnis. Allein: Wer kann den Chef öffentlich entmachten - und wagt dies? Einige Namen, die die Partei in die Richtung schubsen könnten, kursieren bereits: Tony Lloyd, der Chef der Labour-Fraktion im Unterhaus etwa, hätte die Macht dazu. Genauso wie Sir Gerald Kaufman, ein Veteran mit mächtig viel Einfluss auf die Partei. Oder John McFall, der bereits leise Kritik am Premier geäußert hat und auch als Meinungsführer gilt.

Dass Brown sich freiwillig dem Druck beugt, erwartet eigentlich niemand. Er werde in der schwierigen Situation nicht davonlaufen, bekräftigte der Premier erst wieder am Wochenende. Die Unterschriftenaktion, die Brown dazu bewegen soll, seinen Sessel zu räumen, läuft seit mehreren Tagen.

Unklar ist, wieviele Abgeordnete unterschrieben haben oder noch unterschreiben werden. Denn unabhängig von der Personalie Brown müssen die Labour-Abgeordneten auch bedenken: Ein neuer Premier müsste schon im Herbst Neuwahlen ausrufen. Angesichts der Anti-Labour-Stimmung würden sich die Abgeordneten quasi selbst aus dem Unterhaus werfen, wenn sie Brown zur Aufgabe zwingen.

Die Frage, ob Brown ein "Winner" oder ein "Loser" sei, wird angesichts dieser Aussichten beinahe unerheblich für Labour.

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