Gordon Brown:Karriere in der Krise

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Der britische Premierminister Gordon Brown galt schon als gescheitert - nun rettet er die Banken und sein Image.

Wolfgang Koydl

David Cameron kann nicht sagen, er sei nicht gewarnt gewesen. Der damalige britische Premierminister Tony Blair hatte den seinerzeit frisch gewählten Führer der Konservativen vor der "großen, wummernden Faust" seines designierten Nachfolgers Gordon Brown gewarnt. Zwar hat es lange gedauert, aber nun hat Brown den lästigen Gegner mit einer einzigen Geraden k.o. geschlagen.

Seine Partei hatte ihn schon abgeschrieben. Nun nutzt Gordon Brown die Gunst der Stunde und bewährt sich als Krisenmanager. (Foto: Foto: AFP)

Bei der wöchentlichen Fragestunde im Unterhaus, wo der Regierungschef beim Schlagabtausch mit dem rhetorisch gewandteren Oppositionsführer seit seiner Amtsübernahme im Sommer 2007 bisher jedes Mal den Kürzeren gezogen hatte, watschte Brown nun Cameron ab.

In einem zehnminütigen Rededuell brachte er den Oppositionsführer dazu, auf die Banken und ihre Manager zu schimpfen - um ihn dann kühl an eine Fernsehsendung vor ein paar Tagen zu erinnern, in der Cameron beinahe feierlich gelobt hatte: "Ich werde nie mit billigen Bemerkungen auf die Märkte und die Finanzwirtschaft einprügeln." Als Brown das im Unterhaus zitierte, johlten seine Parteifreunde - und Cameron schwieg.

Grundlage des Erfolgserlebnisses war das von Brown und seinem Schatzkanzler Alistair Darling in der Nacht zuvor eilends geschnürte Rettungspaket für die britischen Banken gewesen. Mit ihm festigte Brown seinen schon verloren geglaubten Ruf als eiserner Sachwalter der Wirtschaft des Landes in Extremsituationen.

Hasardeur statt Hasenfuß

Dies erlaubt Brown zudem, sich der staunenden Öffentlichkeit als Retter von nichts geringerem als der gesamten Weltwirtschaft zu präsentieren. So mancher Brite fühlt sich bereits an Winston Churchill erinnert: Auch der war - ähnlich wie Brown - persönlich ein mitunter widerlicher Soziopath und kein besonders inspirierender Politiker. Erst die Tragödie des Weltkrieges brachte verborgene Qualitäten zum Vorschein und ließ ihn über sich selbst hinauswachsen.

Für Brown ist es die globale Finanzkrise, der er eine schier unglaubliche politische Wiederauferstehung verdankt. Lazarus, so ein spöttischer Beobachter in Westminster, sei im Vergleich dazu lediglich von einem harmlosen Schnupfen genesen. Noch vor drei Wochen von allen politisch totgesagt, wird Brown heute allgemein als die beste - und einzige - Chance gesehen, die Nation durch die Stürme und Untiefen des weltweiten Finanzgewitters wieder in einen sicheren Hafen zu steuern. Wundersamerweise entspricht dies genau dem Bild, das seine Public-Relations-Berater für ihn gezeichnet hatten.

Zugleich können die Briten eine erstaunliche Wandlung in der Persönlichkeit Browns studieren. Aus dem ewigen Zauderer ist ein beherzter Zupacker geworden, aus dem übervorsichtigen Hasenfuß ein waghalsiger Hasardeur.

Wochenlang hatte er sich im vergangenen Jahr mit der Entscheidung abgequält, ob er die ins Trudeln geratene Immobilienbank Northern Rock unter Staatsfittiche nehmen sollte oder nicht. Nun aber teilverstaatlichte er gleichsam über Nacht das gesamte britische Bankensystem. So sicher fühlte sich der Premierminister seiner Sache, dass der notorische Bettflüchter an diesem Abend schon um zehn Uhr schlafen ging. Die Details überließ er Alistair Darling, der bei seinem Lieblingsinder für 245 Pfund Sterling 32 Portionen Lamm Karahi, Tandoori Chicken, Reis und Brot kommen ließ, bevor er gemeinsam mit Bankenbossen und Ministerialen bis in die frühen Morgenstunden die Details des Rettungsplans ausarbeitete.

Alles auf eine Karte

Mit ihm zeigt der bislang chronisch vorsichtig agierende Brown die ungewöhnliche Risikofreude eines Spielers, der alles auf eine letzte Karte setzt. Denn der 500 Milliarden Pfund schwere Rettungsfonds, den er in das Bankensystem pumpen will, entspricht etwa einem Drittel des gesamten britischen Bruttoinlandsproduktes - also einem Drittel des Gesamtwerts aller im vergangenen Jahr im Vereinigten Königreich erzeugten Waren, Güter und Dienstleistungen. Geht das Vabanquespiel nicht auf, hätte Brown die Nation in den ökonomischen Abgrund gestürzt.

Den tollkühnen Gordon Brown konnten die Wähler freilich schon bei seiner Regierungsumbildung vor einer Woche inspizieren, als der Regierungschef völlig überraschend mit dem EU-Kommissar Peter Mandelson einen seiner bittersten politischen - und wohl auch persönlichen - Gegner an den Kabinettstisch holte.

Diesem Draufgänger Brown, so spekuliert man mittlerweile in London, ist alles zuzutrauen, womöglich sogar eine vorgezogene Neuwahl in diesem Herbst. Damit würde er alle auf dem falschen Fuß erwischen - die Opposition, aber auch die Wähler. Denn irgendwann wird Letzteren auffallen, dass der neue Gordon Brown inmitten der akuten Krise seine alten Prinzipien über Bord geworfen hat. Er selbst war es schließlich, der in seinen zehn Jahren als Schatzkanzler ausdrücklich das freie Spiel der Finanzkräfte ermutigt und der Bank of England zu deren Ingrimm die Regulierungsvollmachten über die Banken entzogen hatte.

Und schon bald wird der Preis deutlich werden, den die Briten für die Rettungsaktion von "Super-Gordon" werden zahlen müssen: höhere Steuern und niedrigere Sozialleistungen. Auch damit lässt sich schlecht Wahlkampf machen.

© SZ vom 10.10.2008/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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