Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) In diesen Tagen, die vollgepackt sind mit Corona- und Dezemberblues, gehen Erinnerungen an sommerlichen Badespaß besonders schmerzhaft unter die Haut. Was für eine wunderbare Zeit! Hitze, Steckerleis, Arschbombe und begnadete Körper, es war eine Lust zu leben. Seit einigen Jahren aber trübt eine kleine Prise Unbehagen die Sommersonnenlaune, und zwar immer beim Blick auf die anderen, die leider auch da sind. Ausnahmslos sind sie tätowiert, manche eher bescheiden mit einem blütenumrankten Herz oder chinesischen Schriftzeichen, die vermutlich nichts oder Schlimmeres bedeuten; andere hingegen sehen aus wie eine wandelnde Graphic Novel. Auf ihrer Haut vereinigen sich Monster, finstere Helden, Kriegsflaggen und verflossene Geliebte zu einem mystischen Großpanorama, das zu enträtseln Wochen in Anspruch nehmen würde. Zwischen diesen zu Kunst erhobenen Körpern fühlt sich der untätowierte Mensch wie ein Nackter beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Man spürt die missbilligenden Blicke der anderen, als bohrten sich Nadeln in die Haut.

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