Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Bislang kannte man das Allgäu vor allem als käseproduzierende Region am Rande der Zivilisation, bevölkert von sympathischen Menschen, die sich mit "Sch"-Lauten verständigen, einer Geheimsprache, die kein Fremder versteht. Doch seit Forscher dort die Knochen eines urzeitlichen, aufrecht gehenden Menschenaffen gefunden haben, gilt das Allgäu als innovativste Provinz des Miozäns, der etwas unruhigen, aber letztlich doch guten alten Zeit vor zwölf Millionen Jahren. Offenkundig wurde in dem Landstrich, der schon damals für seine vorzüglichen Kässpatzen bekannt war, der aufrechte Gang erfunden, und zwar von einem Affen namens Udo. Na ja, eigentlich hieß er ja Fipsch oder Schorsch, aber die Paläontologen tauften ihn posthum nach dem Panikrocker Udo Lindenberg, dessen Nuschellaute ebenfalls keiner versteht. Udo, also der Lindenberg, fühlt sich geehrt und sandte in seiner Geheimsprache ein "Big Grattu" an die Forscher und dazu das Bekenntnis: "Ich war schon immer ein Freund des aufrechten Gangs."

Nun hat der aufrechte Gang seit je eine gute Presse, er gilt als kulturelle Errungenschaft, die den Menschen wesenhaft auszeichnet und ihn sogar auf eine Stufe mit den Vögeln stellt. Schon die antiken Philosophen definierten den Menschen als ungefiederten Zweifüßler, und am auffälligsten hat sich in dieser Sache der römische Dichter Ovid aus dem Fenster gelehnt, der behauptete, alle Wesen blickten gebeugt zu Boden, nur der aufrecht gehende Mensch sei in der Lage, sein Antlitz zu heben und den Himmel und die Sterne zu betrachten. Das ist einerseits ein Affront gegen das Faultier, das ebenfalls gen Himmel schaut, zeigt andererseits aber das Potenzial, das ungefiederte Zweifüßler mit ihrem Blick nach oben haben. Sofern so ein frühzeitlicher Hans- Guck-in-die-Luft nicht in eine Grube fiel, sah er am Firmament den lieben Gott oder, bei nicht ganz optimaler Fernsicht, zumindest Sonne, Mond und Sterne. Die Gottseher erfanden daraufhin die Religion, die Sterngucker die Wissenschaft.

Rückblickend muss man sagen, dass damit das Elend begann. Auf den Religionen ruht selten Gottes Segen, und was die Wissenschaft hervorbringt, funktioniert entweder nicht, oder es funktioniert so prächtig, dass die Welt daran zugrunde geht. Der Affe Udo wäre gut beraten gewesen, den aufrechten Gang unter "Dumme Ideen" abzulegen und weiterhin vierbeinig durchs Allgäu zu promenieren. Zwar hat der Zweifüßlergang auch ein paar kleine Vorteile, beispielsweise braucht man nur halb so viele Schuhe und man hat mehr Spaß beim Tennis, alles in allem aber kommen Vierbeiner viel besser zurecht. Das wissen auch fortschrittliche Führungskräfte, die es sehr gerne sehen, wenn ihre Untergebenen auf allen vieren vor sie hintreten. Die Chefs selbst sind noch nicht so weit, aber das kommt. Und dann haben sie ein Big Grattu verdient.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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