Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Die meisten Ereignisse, die im Fernsehen als authentisch verkauft werden, sind in Wahrheit so authentisch auch wieder nicht. Es steckt jede Menge Scripted Reality im Programm, und der Rest wird von Routine glattgeschliffen. Eine Niederlage im Fußball zum Beispiel: Sie wird von den Verlierern mit derart vielen erprobten Erklärungen abgefedert ("Werden unsere Lehren daraus ziehen" / "Werden gestärkt daraus hervorgehen"), dass ihr einiges von ihrem Schrecken längst genommen ist. Sehr gelegentlich allerdings kann man Menschen dabei zusehen, für die es "echt um was geht", wie man so sagt, und das ist oft dann der Fall, wenn dieser Mensch bei einem Zeremoniell etwas zu sagen oder zu tun hat. Dann tritt die menschliche Aufgeregtheit ans Licht, sogar bei Charismatikern wie Barack Obama, der 2009 bei seiner Inauguration den Amtseid so holprig ablegte, dass das Ritual später, hinter verschlossenen Türen im Weißen Haus, sicherheitshalber wiederholt wurde. Oder: Die scheue Patti Smith sang bei der Friedensnobelpreisverleihung 2016 "A Hard Rain's A-Gonna Fall" von Bob Dylan. Der Preisträger Dylan selbst, scheuer als scheu, war nicht anwesend, und Patti Smith geriet ins Schlingern, brach ab, entschuldigte sich, die Stimme bebend vor Aufregung. Dann setzte sie neu an und brachte das schöne Lied ins Ziel - jeder, der es gesehen und gehört hat, wird es nicht vergessen.

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