Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Um das geheimnisvolle Lächeln der Mona Lisa wird seit geraumer Zeit viel Aufhebens gemacht. Es handelt sich aber dabei um eine Aufregung im Nahbereich. Die Renaissance liegt gerade mal ein paar schlappe Jahrhunderte zurück, und Leonardo hat in den Blick der Mona Lisa so viel Modernität gelegt, dass ihr Geheimnis unlösbar an ihre frappierende Gegenwärtigkeit geknüpft ist. In Abgründe von Fremdheit und Ferne aber blickt, wer im Naturhistorischen Museum zu Wien vor der Venus von Willendorf steht. Sie ist klein, nur 11 Zentimeter hoch. Ungewiss ist, wer sie vor etwa 29 500 Jahren mit dem Rötelüberzug versah, dessen Spuren noch sichtbar sind. Augen, aus denen sie auf den Betrachter blicken könnte, hat sie nicht, auch keinen Mund, der ihm irgendetwas verraten könnte. Gesichtslos steht sie da. Und zu den unlösbaren Rätseln, die sie aufgibt, gehört die Frage, warum die Mütze oder Frisur, die ihren in schriftlosen Zeiten geformten Kopf verhüllt, dem Typenkopf der erst vor Kurzem ausgestorbenen Kugelkopf-Schreibmaschine ähnelt.

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