Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Der Begriff Todo bezeichnet die von buddhistischen Mönchen zur Schreibung des Mongolischen entwickelte oiratische Schrift, auch Klarschrift genannt. Russische Kalmücken verwendeten sie noch im 20. Jahrhundert, bis schließlich die Nachlassverwalter des Kyrill von Saloniki, nach dem die kyrillische Schrift benannt ist, auch durch ihre Schriftsätze fegten. Derlei Exkurse erscheinen gerade dann besonders verlockend, wenn die eigentlichen Aufgaben dröge und klar definiert vor einem liegen. Ähnlich verhält es sich gerade in Berlin, wo die sondierenden Parteien in deutscher Klarschrift eine To-do-Liste erstellt haben. Es geht um knapp 125 "Bearbeitungspunkte", bei denen die Verhandelnden inhaltlich noch keine Einigkeit erzielt haben, wohl aber Einigkeit darüber, dass sie sich einigen sollten. Schon in dieser Konstellation verdeutlicht sich das unerbittliche Wesen der To-do-Liste. Sie gehört nicht jenem kosmischen Stadium von Überlegungen an, in dem Wünsche, Bedenken und Träume weit ausufernd Platz finden. Die To-do-Liste ist vielmehr ein kalter Nichtfortschrittsbericht, sie mahnt im Stakkato, was getan werden muss, aber noch nicht getan worden ist. Und den größten Haken hat die Sache dann, wenn sie keinen einzigen aufzuweisen hat.

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