Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Aus dem Leben einer Digital Native: "Liebes Facebook, liebe Freunde und Nicht-freunde! Als ich mich heute wie jeden Morgen durch all die schönen Ich-Nachrichten und Profilierungsbilder klickte, wurde ich traurig, sehr traurig. Nicht nur musste ich feststellen, dass nur acht Leute mein Ich-bin-wieder-zu-haben-Selfie wohlwollend kommentiert hatten, nein, auch durfte ich live mitansehen, dass dieser Mann, dessentwegen ich wieder zu haben bin, nicht mehr zu haben ist. Da springt er doch einfach mit so einer gephotoshoppten Frau an einem Strand herum; #happy, #beachlife, #honeymoon. Und ich? Was bleibt mir noch? #neid, #hass, # liebeskummer! Oh, wie gerne würde ich nun all das unter dieses Foto schreiben, was ich mich damals nie getraut hatte zu sagen: dass er einen Wortschatz von vielleicht 200 Hashtags hat, dass es gar nicht okay ist, bei ,House of Cards' zu weinen, dass seine Mutter, ja seine ganze Familie ... ich schrieb nichts. Bin ich denn einer von diesen Twitter-Trollen, eine Facebook-Furie, die mit ihrem Hass hausieren geht?

Auf jeden Fall. Zur Beruhigung fuhr ich meinen Dienstrechner hoch. Neben neuen Glücklichkeits-Updates dieses Mannes, der doch mal meiner war, fand ich: ein Google Doc namens ,Texts I wanna send my ex'. In dieses öffentliche Textdokument kann jeder reinschreiben, der seinem Ex-Partner gerne noch eine Botschaft hinterlassen würde, dies aber aus Scham oder Stolz lieber nicht persönlich tut. Ein junger Mann namens Sean Peter Drohan hat dieses anonyme Massentagebuch für Liebeskranke vor ein paar Tagen ins Netz gestellt. Beispiele: ,Ich habe immer noch deinen Netflix-Account.' ,Ich liebe ihn nicht, aber er ist hier und du nicht.' , Ich bin nicht verrückt, ich bin nur enttäuscht.' ,Ich habe deinen Hund mehr geliebt als dich.' Wahre Poesie also. Und wurde irgendwo im Internet schon mal stilvoller gehasst?

Endlich konnte ich ihn verachten, ganz öffentlich, ganz ehrlich. Ich tippte, und ich hörte nicht mehr auf: Damals, in dieser Bar, wo wir uns kennenlernten, da hat mir dein bester Freund viel besser gefallen. Deine Küsse bewegen sich irgendwo zwischen Waschlappen und Waschmaschine. Ich bin nur mit dir zusammengezogen, weil die Stadt so teuer ist. Ich mochte es nie, wie du mich morgens angeschaut hast. Was dein Chef wieder gemacht hat? War mir immer egal. Du kannst nicht kochen, so sehr du es auch versuchst, okay? Keine Frau freut sich über lila Rosen. Der Verlobungsring war so hässlich. Die Kratzer an deinem Wagen, das war ich. Du hast mich so oft betrogen - aber ich dich noch öfter. Ich bin nur wegen des Ligne-Roset-Sofas mit dir zusammengeblieben. Ich bin so froh, dass du mich verlassen hast. Ich wollte schon immer Schluss machen, ja, ich wollte dich eigentlich nie haben. Du bist mir so was von egal. Mach's gut, du Idiot. P. S.: Ich liebe dich, bitte komm zurück.'"

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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