Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Unter den Haupt- oder Wurzelsünden hat es die Langeweile insofern am schwersten, als sie so wahrgenommen wird, wie sie heißt: als langweilig beziehungsweise, wie man heute gern sagt, sturzlangweilig. Dabei kann sie mit dem Stolz, der Habgier, dem Zorn und wie sie sonst noch heißen durchaus mithalten, indem auch sie zu jenen ethisch schwer defizitären menschlichen Grundeinstellungen gehört, auf deren Basis die weiteren Sünden besonders gut gedeihen. In der Theologie bezeichnet man die Langeweile als "acedia", was mit Überdruss, Trägheit und Schwermut übersetzt wird. Wie sündhaft kurzweilig es bei der Langeweile zugehen kann, sieht man daran, dass in Zeiten, als die Mönche noch in der Wüste hausten und ohnedies so gut wie keine Zerstreuung hatten, die acedia mit dem Mittagsdämon gleichgesetzt wurde. Dieser Dämon war darauf spezialisiert, den Mönch in der mittäglichen Wüstenhitze, also in der denkbar besten Anfechtungszeit, aufzusuchen und ihn mit allerlei Bildern, Einflüsterungen und Phantasmagorien vom Weg der intensiven Gottesbeziehung abzuziehen.

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