Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Gewiefte Personalchefs tun gut daran, sich eine Fachabteilung zu leisten, die allein für die Stellenanzeigen zuständig ist. Die Stellenanzeige ist die hohe Kunst der fiktionalen Prosa, ihre Autoren sollten also über Kafka oder James Joyce promoviert sowie Erfahrungen im Verfassen von Fantasyliteratur haben, und dafür ist die Immobilienbranche von je her die beste Adresse. Wer fantasiebegabt genug ist, einen verlausten Kellerverschlag neben der Mülldeponie als zauberhaftes Stadtpalais mit Alpenblick anzupreisen, der ist auch spielend in der Lage, eine Erfolg versprechende Stellenanzeige für einen Lebensmitteldiscounter zu formulieren. Aus Textbausteinen wie "motivierende Arbeitsatmosphäre", "flexible Arbeitszeiten" oder "interessante Aufstiegsmöglichkeiten" zimmern sachkundige Stellenmarktpoeten eine 1-A-Anzeige, die jedem Faktencheck standhält. Wer den Job kriegt, genießt dann auch alle versprochenen Annehmlichkeiten: den cholerischen Chef (motivierende Arbeitsatmosphäre), unbezahlte Überstunden (flexible Arbeitszeiten) sowie die Aufstiegsmöglichkeiten, welche die Stehleiter zum Entfernen der Spinnweben bietet.

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