Das Streiflicht

(SZ) Erinnert sich noch jemand an die Umstände, deretwegen Fritz J. Raddatz seinen Posten bei der Zeit verlor? Er hatte in großer Eile nach einem Zitat gegriffen, worin Goethe mit dem Frankfurter Bahnhof in Verbindung gebracht wurde, und nicht gemerkt, dass es sich um einen Jux handelte. So banal der Vorfall war, so erzieherisch hat er fortgewirkt. Als jetzt der Spiegel und etliche andere Medien Martin Luther als "ersten Wutbürger" vorstellten, wurde in den restlichen Medien hausintern unverzüglich die Mahnung ausgegeben, in diesem Zusammenhang bitte ja nichts über einen Wittenberger Bahnhof zu schreiben. Zum Hintergrund: Wittenberg hatte um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in der Tat keinen Bahnhof. Das verkehrstechnisch relevanteste Bauwerk war die Elbbrücke, mit der die Wittenberger aber insofern ganz gut leben konnten, als Kurfürst Friedrich der Sanftmütige ihnen den Brückenzoll erlassen hatte. Für Luther war das kein Thema, außerdem hat der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm darauf verwiesen, dass Luther ein authentischer und leidenschaftlicher Mann gewesen sei, aber bestimmt kein Wutbürger.