Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Zu den scheußlichsten deutschen Wörtern, die in den vergangenen Jahren zu hohen Gebrauchsehren gekommen sind, zählt "Achtsamkeit". Ein Synästhetiker würde bestimmt feststellen, dass "Achtsamkeit" unangenehm riecht, etwa so wie eine alte Salbe, die man im Hochsommer unter einer lange nicht gewechselten Mullbinde aufgetragen hat. Achtsamkeit fühlt sich an wie eine unerwünschte Berührung durch verschwitzte Hände, es klingt wie in die Teekanne hineingehaucht. Wer Achtsamkeit ausübt, organisiert auch Geburtstage für Eichhörnchen-Kinder, klaubt Fliegen aus Spinnennetzen und bringt sein eigenes Handtuch mit, wenn er auf Besuch kommt. Die Achtsamkeit ist die verklemmte kleine Schwester der Wachsamkeit. Aber das Gute ist: Die Wachsamkeit findet mehr Anhänger als die Achtsamkeit; in Berlin zum Beispiel hat der hellsichtige Innensenator Frank Henkel jetzt eine Wachsamkeits-App eingeführt.

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