Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Aus dem Europapark Rust erreicht uns die Kunde, der knorrige Kämpe Volker Kauder habe ebendort die Herren der Koalitionsrunde aufgefordert, Männer zu sein und in die Achterbahn zu steigen. Wie es heißt, ist dem niemand gefolgt, und das kann man ja verstehen. Wer täglich auf wilder Fahrt die jähen Kurswechsel, die Höhenflüge und Höllenstürze eines Regierungsbündnisses mitmacht, der weiß, was eine wahre Achterbahnfahrt und was ein Aufschlag im Wasser ist; da braucht er nicht erst zum "Supersplash" nach Rust zu gehen. Umso gebieterischer stellt sich die Frage: Was hat die besten Köpfe der Regierung veranlasst, ihre Klausur ausgerechnet in einen Freizeitpark zu verlegen?

Plausibel erscheint die Vermutung: Die Lage der Koalition bietet so wenig Anlass zur Freude, dass sich ein frohsinniges Umfeld nur noch mit Hilfe professioneller Anbieter schaffen lässt. Möglich mag aber auch sein, dass sich die Spitzen der deutschen Sozialdemokratie wie einst der Kalif Harun al-Raschid einmal unters gemeine Volk mischen wollten, um zu erfahren, was dieses über sie und ihre Leistung dächte. Im Zweifel müssten sie sich, anders als der Kalif von Bagdad, nicht einmal verkleiden, um gänzlich unerkannt zu bleiben. Statt steriler Konferenzzentren und öder Stadthallen finden sie dann beim Bürger draußen in Rust das wahre, pralle Leben: allerlei Verführungen, Angstzustände, kostspielige Illusionen, zu teures Bier. Jedenfalls, eine originellere Wahl der Location, wie man heute sagt, wäre auch anderen Parteien durchaus nahezulegen.

Die Linke zum Beispiel kann den Palast der Republik nicht mehr nutzen, weil der Klassenfeind in seiner Tücke dieses Meisterwerk sozialistischen Gestaltungswillens beseitigt hat. Für ihre außenpolitischen Beratungen böte sich aber das Phantasialand an, dort besonders die Geister-Rikscha und für die AG Russland das Mystery Castle. Die Liberalen würden sich idealerweise auf der Wiesn im Free Fall Tower zusammenfinden; der Platz ist etwas knapp, aber für die FDP wird er schon reichen. Der AfD wiederum sei empfohlen, ihren nächsten Parteitag abzuhalten in - nein, nicht in Berlin auf dem Reichssportfeld, eine solche Unterstellung wäre wirklich unsachlich. Wie viel passenderer ist doch das Museum für die Geschichte der Bundesrepublik in Bonn, speziell der Kinosaal, der im Stil der Fünfzigerjahre eingerichtet wurde. Dort kann man im Plüschsessel Heimatfilme wie "Grün ist die Heide" betrachten, wo die Försterbraut hold und die Vergangenheit so rein und heil und deutsch ist, wie man sie 1951 gern gehabt hätte. Die strengen AfD-Führungsdamen Petry und Storch dürften sogar noch etwas lernen: Beweist nicht Helga, die lebensfrohe Försterin in spe, dass man ganz im Gestern leben kann, ohne ständig so sauertöpfisch dreinzugucken?

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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