Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Zu einem schön gedeckten Tisch gehört neben, nein besser: unter die blank polierten Gläser, die sorgsam nebeneinander drapierten Besteckutensilien und die je nach Geschmack und Laune neckisch oder sorgsam gefalteten Servietten ein Tischtuch. Mit der Wahl des Tischtuchs lässt der Gastgeber erkennen, dass er dem Essen einen Ereignischarakter zuschreibt und nicht bloß ein paar mehr oder weniger gute Freunde mit irgendwelchen Mahlzeiten abspeisen möchte. Das Tischtuch ist so etwas wie die Staatsfahne der Gastrokultur - sie kennt nur die straffe Anmutung, wird niemals auf Halbmast gesetzt und ist, anders als ihre Schwester, die politische Staatsfahne, verspielt und variabel in ihrer Motivik. Heißt das nun, das Tischtuch sei in seiner Majestät derart erhaben, dass es einen unverhandelbaren Anspruch auf textile Unversehrtheit anmelden darf? Ja und nein, lautet wie so oft in unserer immer auffälliger auf Dialektik ausgerichteten Welt die Antwort. Ja, weil die Teilnehmer eines Abendessens der Wunsch nach Harmonie und Störungsfreiheit eint. Nein, weil es immer wieder Hitzköpfe gibt, die mit der Drohung hausieren gehen, das Tischtuch würde demnächst zerrissen werden.

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