Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Der Flüchtling, den die Gesellschaft für deutsche Sprache eben zum Wort des Jahres 2015 ausgerufen hat, ist eigentlich ein Unwort, jedenfalls in wortbildungstechnischer Hinsicht. Seinen abfälligen Klang verdankt er dem Suffix -ling, dem an sich nichts erkennbar Böses innewohnt, was daraus zu ersehen ist, dass es auch positiv konnotierte Ableitungen hervorbringen kann, den Schützling zum Beispiel oder - ihn vor allem - den Liebling. Beides wäre der Flüchtling nur zu gern, doch bis er das ist, vergeht noch viel Zeit, und diese Zeit verbringt er in Gesellschaft der anderen, weniger gut angesehenen Derivate auf -ling: des Fremdlings, des Finsterlings und des Eindringlings, als der er wahrgenommen wird, obwohl er zunächst nichts anderes als ein Ankömmling ist - ein Ankömmling freilich von keiner Vergnügungsreise, sondern unmittelbar aus dem Elend.

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