Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Große Wahrheiten suchen sich oft kleine Bühnen, etwa jene im Tom-Pauls-Theater zu Pirna. Soeben gastierte dort Thomas Rosenlöcher, ein so freundlicher wie tapferer Lyriker. Bis zu seinem Auftritt hatte man nur ahnen können, wie widerständig dem Dichter die gegenwärtige Welt erscheinen muss. In dieser Welt nämlich regieren Systemadministratoren und Key-Account-Manager, jedes Versmaß aber scheint verloren zu sein. Und wenn heute doch einmal vom Dichten die Rede ist, dann geht es um Gebäudesanierung. Es ist also anzunehmen, dass der Lyriker mit Bedacht das herrlich sanierte Theater wählte, um sein Leid zu klagen. Die Welt, sagte Rosenlöcher, sei für den Dichter kaum noch in schöne Worte zu fassen. Zur Begründung ging der Dichter geistig zum Waschbecken, wo früher immer ein Stück Seife gelegen habe. Wenn der Dichter die Seife sah, erblühte in ihm sogleich ein Strauß Trochäen. Heute aber lugt am Beckenrand einäugig der Seifenspender, und auf den reimt sich weder Schleife, Schweife noch Reife.

Die Not des Dichters ist ernst zu nehmen, viel gewaltiger aber erscheint das Unrecht, das der Seife selbst widerfahren ist. Jahrhunderte war sie den Menschen klag- und fraglos eine dienstbare Magd. Was immer auch an den Beckenrand getragen wurde - die Seife befreite die Hände von Schmutz und Schuld, kurzum, sie machte die Drecksarbeit. Dann aber rückte die Armee der Produktdesigner ins Badezimmer vor und verwandelte auch dieses Refugium in eine überladene Erlebniswelt. In geflochtenen Munitionskisten lagern nun Duftkugeln, dazu surren die Motoren getunter Zahnbürsten. Auf halber Höhe wacht über all dies der Seifenspender. Er wacht so bedrohlich wie die Bordkanone eines Panzers, und er scheint allzeit bereit zu sein, tollwütig zu speien, wenn nur einer sein Knöpfchen drückt. An der Seife ging dieses Aufrüsten nicht spurlos vorüber. Offenporig und ausgemergelt lag sie in der Schale: Ach, sie lag sich wund. Die Menschen nahmen selbst davon keine Notiz. Die Seife schäumte deswegen nicht vor Wut, sie wartete ein letztes Mal geduldig auf ein kleines Rinnsal und darauf glitt sie schließlich traurig davon.

Der siegreiche Seifenspender trägt Übermut und Maßlosigkeit ja schon im Namen. Er gibt sich karitativ, und es würde einen nicht wundern, wenn er demnächst um eine Spendenquittung für die geleistete Arbeit bäte. Spätestens dann wird auch den überzeugten Handlangern des Spenders einleuchten, welch elender Verlust das Verschwinden der Seife bedeutet. Ist es dann zu spät? Vielleicht. Die Menschen werden in ihrer Panik nicht einfach zupacken können, derlei Zugriffsversuchen hat sich die Seife noch immer entzogen. Es wird größerer Mühe bedürfen, der Seife glaubhaft zu vermitteln, dass sie gebraucht wird. Die Menschen werden sich dafür die Finger schmutzig machen müssen.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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