Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Nach § 74 StGB können Gegenstände, durch die eine Straftat "hervorgebracht" oder vorbereitet wurde, eingezogen werden, und es ist guter Polizeibrauch, diese Gegenstände der Öffentlichkeit zu zeigen, sei es zur Abschreckung, sei es zur weiteren Aufklärung der Tat. Da liegen dann auf einem Tisch Messer, Pistolen, Äxte, Baseballschläger, Dietriche und was nicht noch alles, und wer einen Sinn für Rituale hat, wird sich an die Waidmannssitte erinnert fühlen, im Anschluss an die Jagd die erlegten Tiere, die "Strecke", nach Gattung und Größe auszulegen. Für die Polizei ist das Routine. Umso mehr Freude dürfte bei der Polizei in Stolberg geherrscht haben, als sie nach einer heftigen Schlägerei in der Salmstraße ein Nudelholz als Tatwerkzeug vorzeigen konnte. Dass die Medien bundesweit den Vorfall meldeten, mag als Beleg dafür gelten, dass in der Stolberger Salmstraße etwas Rares, vielleicht sogar Symptomatisches vorgefallen war.

Vor Jahren erfreute das Museum für Volkskultur in Württemberg mit einer Ausstellung, in der Dinge wie der Hammer, die Banane, das Herz Jesu und der Besen nach Form, Funktion und Bedeutung präsentiert wurden. Die Schau hatte nichts Geringeres im Sinn, als die "Lesbarkeit der Welt" voranzubringen, ein Vorhaben, zu dessen Verwirklichung es unumgänglich war, die Gegenstände nach ihrer Dingbedeutsamkeit abzufragen, nach ihrer situativen Einbindung in Zeit und Raum. Das Nudelholz war seinerzeit nicht unter den Exponaten. Dabei hätte es im kulturellen Signifikationsbereich, jenseits seiner ländlich drallen und eher schlichten Gestalt, manches Gute sagen können. Zum Beispiel hätte es die moralisch-philosophische Lehre ausgeben können, dass jeglicher Stoff erst tüchtig gewalkt werden muss, ehe daraus ein höheres Gebilde erwachsen kann, dass die Welt also dem gehört, der sie zu kneten und gestalten weiß.

Keinem Küchenwerkzeug ist übler mitgespielt worden als dem Nudelholz. Wann es begann, weiß kein Mensch, aber irgendwann hielt man es für lebensnah, dass einsame Frauen mit dem Nudelholz auf den vom Wirtshaus heimtorkelnden Mann warten, ein Topos, den sich kaum einer der vielen drittklassigen Cartoonisten entgehen ließ. Der Beliebtheit des Sujets tat es keinen Abbruch, dass es die hinter der Tür mit dem Nudelholz lauernde Hausfrau in der Praxis nie gab, wohingegen Frauen mit Äxten, Messern und Giftphiolen in der Kriminalgeschichte wohlbekannt sind. Allem Anschein nach kam der Erfolg dieser Zeichnungen von der Gemütlichkeit des Arrangements: hier der dumpfe, vom schlechten Gewissen eh schon fast vernichtete Zecher, dort die im Kern gütige Gattin mit einem Werkzeug, dessen sie sich sonst zur Herstellung von Weihnachtsplätzchen bediente. Hoffentlich war man sich bei der Schlägerei in der Salmstraße dieser Zusammenhänge wenigstens rudimentär bewusst.

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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