Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Schon mancher, der einem Begräbnis beiwohnte, hat heimlich auf seinem Smartphone-Kalender nachgesehen, ob er tatsächlich auf der richtigen Veranstaltung sei. Da rühmt der Pfarrer die Prinzipientreue Karl-Adolfs, des teuren Verblichenen, oder die warmherzige Freigiebigkeit der Großtante Elfriede. Das muss eine andere Elfriede gewesen sein, denkt der Trauergast, nicht unsere, die freigiebig nur im Tadel an Kindern und Enkeln war, diesen ungewaschenen Tagedieben und Nichtsnutzen, wie sie gern dozierte. Bei Karl-Adolf fällt den Hinterbliebenen immerhin das eine oder andere Prinzip ein, dem der alte Herr tatsächlich treu geblieben war, anders als seiner ersten, zweiten und dritten Gemahlin. So rückte er niemals von der Überzeugung ab, in Wahrheit hätten die Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen; die Frau Steinbach aus dem Bundestag sage das ja auch. Gab jemand Widerworte, schaltete er das Hörgerät aus.

In der kolumbianischen Begräbniskultur kann ein Besuch der falschen Trauerfeier sofortigen Bedarf für eine weitere schaffen; etwa wenn die Narcotraficantes von der Gruppierung Söhne des Totenschädels versehentlich auf die Konkurrenz der Madonna der letzten Tage stoßen. Das nur am Rande. Jedenfalls verlangt es vom Bestatter von jeher große Kunst, die gebotene Würde des Vorgangs in Einklang zu bringen mit dem eher der Vorsicht gehorchenden Prinzip de mortuis nihil nisi bene, also nichts Böses über Verstorbene zu berichten, und wäre es auch noch so berechtigt. Schon Christian Gottfried Gruners Ärzte-Almanach aus dem Jahr 1790 hat das "unehrliche Begräbniß" moralisch missbilligt. Allerdings schien es damals umgekehrt zu sein: Ganze Berufsgruppen wie die Abdecker wurden bei der Grablegung ihrer Mitglieder vom Geistlichen wüst beschimpft und zur Hölle gewünscht.

Das Bestattungsgewerbe muss stets mit der Zeit gehen. Da uns die Werbeleute erzählen, der moderne Mensch nehme nichts, aber auch gar nichts mehr wahr, wenn man es ihm nicht als Event verkaufe, kann es nicht verwundern, dass sich Rahel Merks aus Lauchheim als "Last-Minute-Event-Managerin" versteht. Die Zahl der Menschen, die das interessiert, wäre gewiss überschaubar, hätte sie es nicht soeben zur "Miss Abschied" gebracht und sich dabei gegen 46 Mitbewerberinnen aus dem Begräbniswesen durchgesetzt. Der Bundesverband Deutscher Bestatter wies aus diesem Anlass auf den oft verkannten Umstand hin, es schade nicht, wenn "Bestatter auch hübsch sind". Das ist keinesfalls mit dem süddeutschen Begriff "a schöne Leich" zu verwechseln und soll offenbar bedeuten: Der Anblick von Deutschlands schönster Bestatterin biete wenigstens all jenen Trauergästen Trost, die der unehrliche Nachruf sonst überhaupt erst zum Weinen gebracht hätte.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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