Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Der Verband deutscher Schriftsteller passt seit vielen Jahrzehnten darauf auf, dass sich Autoren nicht überanstrengen müssen beim Schreiben. Immer schön die Betriebstemperatur halten, bitte, und alles abrechnen, auch Überstunden und Sonntagsdienste, falls mal ein Sonett zu Fronleichnam geschrieben werden muss. Marcel Reich-Ranicki konnte immer so schön über die VS-Leute schimpfen, das seien Schriftsteller, von denen ja wohl noch nie ein Mensch irgendetwas gehört habe, so in der Art. Nun war Reich-Ranicki ein Meister der großformatigen Perfidie, ein Virtuose des Wanzenzerdrückens und der Elefantenschlachterei - er führte beide Formate in seinem kritischen Metzgereifachbetrieb, furchtlos und hierarchieblind, wie er war. Die Leute vom VS haben sich aber nicht irremachen lassen von dem. Sie kämpfen weiter für die Rechte der Schreibenden, besonders für die Rechte der nicht so gut Schreibenden.

Zumal da jetzt ein großer kalter Gegner die Luftgeschäfte der Poesie mit raffinierten Forderungen erschwert, allem voran beim digitalen Büchergeschäft. Der Internet-Buchhandelsgigant Amazon möchte, dass Autoren online nur für die wirklich von Lesern gelesenen Seiten bezahlt werden, man kann das ja alles schön überwachen. Die Verbandsleute haben sofort die große alte Konferenzglocke geschüttelt, sich zusammengesetzt und eine Erklärung abgegeben, Tenor: Katastrophe für die Literaturlandschaft sowie eine Mehrbelastung für die Autoren. Die müssten jetzt sogenannte Cliffhanger-Literatur schreiben, damit die Leser bei der Stange bleiben und zahlen. Anders gesagt: Den Schriftstellern wird zugemutet, spannend und interessant zu schreiben. Geht's noch? Sollen die sich auch noch Gedanken darüber machen, wie das Zeug den Lesern am besten schmeckt? Müssen deutsche Bücher jetzt etwa so angelegt sein, dass man sie weiter-, am Ende gar: zu Ende liest?

Bisher hat sich der selbstbewusste Autor wenig bis gar nicht darum geschert, ob jemand seinen Roman lesen möchte. Es gab eine Art stillschweigendes Einverständnis darin, den Autor einfach machen zu lassen, und der Leser musste das Ergebnis halt so hinnehmen. Amazon macht mit diesem Willkür-Wahnsinn Schluss. Wenn ein Schriftsteller aus dem Tritt kommt oder einen Cliffhanger nicht fachgerecht anbringt, geht sofort ein Algorithmus los, der dem Schriftsteller zunächst die Einnahmen aus dem Buch verweigert und in einem zweiten Schritt die Rente aus der Künstlersozialkasse einfriert. Es ist gut, dass Amazon nicht nur befiehlt, was zu lesen ist, sondern auch Anweisung gibt, wie zu schreiben ist. Sollen die VS-Verbandskasten-Leute wimmern und das Ende des Dialogs zwischen Leser und Autor beklagen. Jeder, der gelegentlich was schreiben muss, weiß: Es ist immer gut, wenn am Ende noch mal jemand drüberschaut.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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