Gipfel in Finnland:EU will mehr Marktwirtschaft

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Die EU will Russland dazu bringen, den staatlichen Griff auf seine nationalen Öl-und Gasvorkommen zu lockern und keine Hürden für ausländische Unternehmen zu errichten. Auch das Thema Menschenrechte steht beim Gipfel heute Abend auf der Agenda.

Cornelia Bolesch

Das Bemühen um "mehr Marktwirtschaft" in der Energiepolitik stand im Mittelpunkt der Gespräche zwischen der EU und Russlands Präsidenten Wladimir Putin im finnischen Lahti.

Nach seiner Ankunft: Putin mit der finnischen Präsidentin Halonen (Foto: Foto: reuters)

Bereits vor dem gemeinsamen Abendessen mit dem Gast aus Moskau betonten die EU-Staats- und Regierungschefs die Bedeutung von "verlässlichen und transparenten" Geschäftsbeziehungen zwischen der EU und Russland. Kommissionspräsident José Manuel Barroso warnte vor einer "Überpolitisierung" der Energiepolitik.

Es müsse vielmehr darum gehen, auch beim Handel mit Öl und Gas die "Prinzipien offener Märkte" anzuerkennen. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte von Putin, russische Märkte für europäische Unternehmen zu öffnen" und die auf Eis liegende Energie-Charta zu unterzeichnen. "Die Inhalte dieser Charta sind richtig und unverzichtbar", sagte Merkel.

Wirkungslose Charta

Die Energie-Charta zwischen der EU und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist bereits Anfang der neunziger Jahre mit der damaligen russischen Führung ausgehandelt worden. Inzwischen weigert sich Russland jedoch, das Abkommen zu ratifizieren.

Es regelt Investitionen im Energiesektor, den Zugang europäischer Unternehmen zu russischen Öl-und Gas-Pipelines und gemeinsame Schlichtungsstellen bei energiepolitischem Streit. Ziel der Charta ist es, sowohl für russische als auch für EU-Firmen einen gemeinsamen europäischen Energiemarkt zu schaffen. Russland will jedoch die Monopolstellung des staatseigenen Energiekonzerns Gasprom erhalten.

Die EU versucht, die wesentlichen Elemente der Charta in ein künftiges Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland einzubringen. 47 andere Länder, darunter Kasachstan, haben die Energie-Charta inzwischen ratifiziert. Doch ohne die Ratifizierung durch Russland gilt das Abkommen als "lahme Ente", sagte ein Diplomat in Brüssel.

Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker gab sich in Lahti optimistisch, dass es mit Russland zu einer "Partnerschaft der organisierten Rücksichtnahme" kommen werde. Die EU hat sich allerdings auch verpflichtet, den russischen Gast auf die mangelnde Achtung der Menschenrechte in seinem Land anzusprechen. Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel meinte, man müsse Putin davon überzeugen, dass es in Russlands eigenem Interesse sei, sich zu demokratisieren.

"Richtige Balance"

Vor dem EU-Gipfel stand in Lahti die Sozialpolitik im Mittelpunkt eines Treffens der europäischen Gewerkschaften mit dem europäischen Unternehmerverband. Die EU ist dabei, ein neues Modell zu entdecken. Das Stichwort heißt "flexicurity". Es beschreibt den Versuch, das Sicherheitsinteresse der Arbeitnehmer mit dem Wunsch der Unternehmer nach größerer Flexibilität zu verbinden. Dänemark gilt als positives Beispiel.

Dort gibt es keinen Kündigungsschutz, stattdessen aber eine gute Absicherung bei Arbeitslosigkeit und schnelle Vermittlung in einen neuen Job. Der Vorsitzende des europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks, nannte das Prinzip in Lahti eine "Herausforderung".

Sowohl die Kommission als auch die europäischen Sozialpartner wollen im kommenden Jahr eigene Konzepte dazu vorlegen. Der deutsche Arbeitsminister Franz Müntefering sagte, es komme "auf die richtige Balance" an. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber müssten bereit sein, "die Dinge zu verändern". Oberstes Prinzip müsse aber die soziale Sicherheit sein. Müntefering kündigte an, er werde "soziale Werte" im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft zu einem Hauptthema machen.

© SZ vom 21.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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