Gewerkschaften:Mit dem Mindestlohn ein Geschäft machen

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Verdi und die IG Metall erwägen einen Verzicht auf Proteste gegen Hartz IV - für eine staatlich verordnete Entgeld-Untergrenze.

Von Jonas Viering

Der Wachmann in Erfurt verdient 4,32 Euro pro Stunde. Und der Hilfsarbeiter auf dem Bauernhof im Moselland auch nur 4,68 Euro, ganz ordnungsgemäß nach Tarif. Zahlen wie diese haben die Debatte um einen staatlichen Mindestlohn lange am Schwelen gehalten. Vertreter der Grünen und der Gewerkschaften haben die Diskussion nun neu aufflammen lassen.

Zuletzt plädierte sogar Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin für eine staatlich verordnete Untergrenze bei Entgelten. Auslöser sind die Hartz-Reformen der Bundesregierung. Sie verschärfen die Zumutbarkeit von Jobs für Arbeitslose: Auch Bezahlung unter Tarif oder ortsüblichem Niveau muss künftig akzeptiert werden. Vor Willkür schützen die Gerichte: Abweichungen von mehr als 30 Prozent nach unten gelten als sittenwidrig.

Beraten über Geringverdiener

Die Gewerkschaften reagieren zwiespältig. Offiziell fordern sie weiter eine Abschaffung der verschärften Zumutbarkeit. Das aber ist wirklichkeitsfern - und so sehen sie in der Einführung eines Mindestlohns die Möglichkeit, die Verschärfung wenigstens zu begrenzen. Vielleicht bietet sich ein Geschäft an: Verzicht auf allzu viel Protest gegen die Zumutbarkeit im Tausch gegen einen Mindestlohn.

In einer Arbeitsgruppe gemeinsam mit Spitzenleuten der regierenden SPD beraten die Arbeitnehmervertreter schon über allerlei Modelle für Geringverdiener. Keineswegs alle Gewerkschaften aber finden Mindestlöhne gut. Die Chemiegewerkschaft sieht hierin einen Eingriff in die Tarifautonomie: Löhne sollten zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten ausgehandelt und nicht von der Regierung diktiert werden. Ähnlich äußern sich die Arbeitgeber - wenn auch aus anderen Gründen, nämlich aus Sorge vor einem zu hohen Mindestlohn.

IG Metall: Differenziertes System

Die Gewerkschaft Verdi gehört zu den heftigsten Befürwortern, schließlich sind in ihrem Organisationsbereich niedrige Löhne schon stark verbreitet. In Gewerben wie dem Wachschutz ist die gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit wegen Mitgliedermangel eher gering. Ein Mindestlohn von 1400 Euro im Monat soll verhindern, dass Tarifentgelte von Arbeitgebern, die Arbeitslose einstellen, unterboten werden und so unter Druck kommen - was klassische Marktwirtschaftler gutheißen würden.

Entscheidend ist der Positionswandel der IG Metall. Früher sah sie durch Mindestlöhne ihr hohes Lohnniveau bedroht. Heute plädiert sie für staatliche Grenzen - allerdings nur im Rahmen eines nach Branchen und Regionen differenzierten Systems. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarktforschung dagegen kommt zu dem Schluss, dass Mindestlöhne in anderen Ländern zwar meist nicht geschadet haben. In Deutschland würden sie aber auch nichts nutzen.

© SZ vom 17.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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