Gewalt im Irak:Aufgeben und heimgehen

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Ist die Kette der blutigen Anschläge im Zweistromland ein Bürgerkrieg? Das Weiße Haus sagt: Nein. Die US-Medien bemühen als Antwort bislang Metaphern und Wortschöpfungen - was sich nun offenbar ändert.

Petra Steinberger

Die ersten Warnungen vor einem "Bürgerkrieg" im Irak wurden laut, ehe die Amerikaner überhaupt einmarschiert waren im Frühjahr 2003; spätestens seit dem Sommer 2004 taucht der Begriff regelmäßig auf. Bisher geschah dies jedoch meist in Zusammenhang mit abschwächenden verbalen Ornamenten wie: der Irak befinde sich "am Rand eines Bürgerkriegs", das Land drohe "in den Bürgerkrieg abzurutschen".

Irakischer Sicherheitsmann vor einer Blutlache nach einem Anschlag in Bagdad (Foto: Foto: AFP)

UN-Generalsekretär Kofi Annan antwortete noch am vergangenen Montag auf die Frage, ob im Irak Bürgerkrieg herrsche, man sei "beinahe an dem Punkt", ja womöglich sei man schon "dort". Auch der Philosoph Michael Walzer schrieb kürzlich in The New Republic, "was da stattfindet, ist noch kein voll ausgewachsener Bürgerkrieg"; der werde aber eintreten, sollten die Amerikaner sofort abziehen - eine Logik, die dem Ausdruck "ein bisschen schwanger" ziemlich nahe kommt.

Die amerikanische Regierung weigert sich nach wie vor, das Wort in Zusammenhang mit der akuten Krise im Irak zu benutzen, sie nennt das Chaos konsequent "insurgency", einen Aufstand.

Die meisten amerikanischen Mainstream-Medien hielten sich bisher an die ausgegebene Bezeichnung "interkonfessionelle Gewalt" als Sammelbegriff für die immer brutaleren Selbstmordanschläge, Killerkommandos und blutigen Scharmützel. Bis zu Beginn dieser Woche: Da erklärte NBC, einer der großen amerikanischen Sendeanstalten, den Irakkonflikt erstmals zum Bürgerkrieg - eine redaktionelle Entscheidung, die sofort vom Weißen Haus kritisiert wurde.

Die New York Times erklärte daraufhin, man überlege seinerseits, ob es an der Zeit sei, mit den Euphemismen der Regierung zu brechen. Die Los Angeles Times berichtet etwas düpiert, sie sei das erste große Nachrichtenorgan gewesen, das die Feindseligkeiten seit Oktober formal als Bürgerkrieg bezeichne, "allerdings ohne das groß in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen". Allein die Meinungsseite des Wall Street Journal stellt sich tapfer gegen solche "defätistische Rhetorik".

Definition nach Opferzahl

Die meisten politischen Theoretiker scheinen aufzuatmen, dass das Wort endlich enttabuisiert ist. Doch dies bedeutet keineswegs, dass sich alle einig sind. Denn die Definition eines Bürgerkriegs ist nur in ihrer Minimalversion eindeutig: ein Kampf zwischen mindestens zwei Parteien innerhalb eines Landes.

Das angesehene Online-Archiv Globalsecurity.org definiert Bürgerkrieg etwas detaillierter als einen "Krieg zwischen Fraktionen desselben Landes. Fünf Kriterien müssen dabei für die internationale Anerkennung dieses Status erfüllt sein: Die Kriegsparteien müssen ein relevantes Territorium kontrollieren, eine funktionierende Regierung besitzen, eine gewisse Anerkennung außerhalb ihres Landes genießen, über reguläre Truppen verfügen und größere Militäraktionen durchführen."

Für die meisten Analysten gehört eine bestimmte Größenordnung, eine bestimmte Zahl der Opfer dazu: Mindestens 1000 Menschen müssen getötet worden sein. Danach befände sich der Irak längst im Bürgerkrieg, allein im Oktober wurden über 3700 Menschen getötet.

Natürlich sind die Begriffe Bürgerkrieg, Aufstand oder auch Revolution nicht trennscharf voneinander abzugrenzen. In einem bewaffneten Aufstand erheben sich Parteien gegen eine etablierte Regierung oder Autorität (also auch Besatzer). Zur Revolution gehört ein radikaler sozialer Umbau - es kann aber auch ein religiöser sein.

Ein Aufstand, eine Revolution?

Der Englische Bürgerkrieg in der Mitte des 17. Jahrhunderts war also eigentlich eine Revolution - gegen die Monarchie. Und der Aufstand der Amerikaner gegen die Briten wurde später als Amerikanische Revolution benannt. Für manche Historiker ist der Konflikt in Nordirland kein Bürgerkrieg, für andere schon.

Der britische Militärhistoriker John Keegan wiederum lässt in der Dezember-Ausgabe des Prospect Magazine überhaupt nur fünf historische Konflikte als Bürgerkriege gelten, den Englischen, den Amerikanische, den Russischen, den Spanischen und den Libanesischen. Alles andere seien Konflikte, gewalttätig gewiss, aber eben keine Bürgerkriege. So kämpfen auch die Parteien im Irak für vieles, für "Rache, Kriminalität, um Ideologie und politische Vorteile, aber nicht um die alleinige Autorität im Staat".

Doch die Debatte um den richtigen Begriff geht weniger um die Terminologie als solche, sondern um die politischen und rechtlichen Konsequenzen, die aus der begrifflichen Festlegung des Konflikts im Irak folgen. "Bürgerkrieg" wäre das Eingeständnis der Regierung Bush, mit ihrer Irak-Politik endgültig versagt zu haben. Und "Bürgerkrieg" wäre auch die Parole, mit der Kriegsgegner den Abzug der US-Truppen fordern würden.

Für Lawrence Freedman, Professor für Kriegsstudien am King's College in London, hängt an den Definitionen auch die Frage, ob es überhaupt noch Hoffnung geben kann für den Irak. Ist es "interkonfessionelle Gewalt", dann könne man sich theoretisch immer noch auf eine alle Parteien umfassende Regierung einigen.

Ist es schon ein Bürgerkrieg, dann gebe es keine Möglichkeit mehr für eine solche Regierung - Polizei und Armee würden nur als weitere Milizen unter vielen anderen betrachtet werden. Dann, meint Freedman, "können die Koalitionstruppen gleich aufgeben und heimgehen."

© SZ vom 1. Dezember 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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