Gesundheitssystem:Eine Reform, die niemand schlucken will

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Die eigene Partei bringt die Kanzlerin beim Umbau des Gesundheitswesens in arge Bedrängnis - und für weitere Nebenwirkungen sorgt die SPD

Wenn plötzlich Feuer unterm Dach ist, gilt auch für politische Feuerwehrleute eine Maxime: Erst mal schauen, wo der Brand seinen Anfang genommen hat. In der Hauptstadt bedeutet das seit Jahren, dass man den Blick schnell nach München wendet, wenn es bei CDU und CSU mal wieder brenzlig wird.

Ach ja, der Stoiber, heißt es dann in der CDU, und es klingt immer ein wenig nachsichtig, als ob man es bei Zündeleien aus Bayern mit einem bewährten Stück Folklore zu tun hat, das lästig ist, aber am Ende immer in den Griff zu kriegen. Da hat schließlich auch die Kanzlerin schon einige Meisterschaft gezeigt. Und so klang es nach Routine, als zu Wochenbeginn von einem Stoiber-Aufstand die Rede war.

Der bayerische Ministerpräsident vor allem, erzählten manche in Berlin, habe dafür gesorgt, dass die Gesundheitsreform um drei Monate verschoben wird. Leicht hätte man sich ausmalen können, wie demnächst irgendwo zwischen Berlin und Wolfratshausen die Kanzlerin und der CSU-Chef in einem Krisen-Gipfel alles lösen.

Merkels Problem ist nur, dass die Sache diesmal nicht so einfach ist. Es gibt nicht einen Brandherd, es lodert fast überall. Fünf Tage nach der Verschiebung der Gesundheitsreform fällt es schwer, wie es in einem Landesverband der CDU spöttisch heißt, überhaupt noch Unionspolitiker in der weiten Republik zu finden, die entschlossen für das Projekt eintreten.

Bedenken geäußert

Ja, der bayerische Regierungschef hat seine Bedenken geäußert, aber kritische Stimmen kommen genauso aus Baden-Württemberg wie aus Sachsen-Anhalt oder Sachsen, und der saarländische Regierungschef Peter Müller hat den im Sommer in zäher Nachtsitzung geschmiedeten Kompromiss sogar schon grundsätzlich in Frage gestellt.

In dieser Malaise telefonierten sich die Länder-Gesundheitsminister der Union am Dienstag zusammen, um ihre Sorgen mit der Reform auszutauschen. Sorgen damit haben sie, so heißt es, im Grunde fast alle, aber - und das erschwert die Sache - nicht alle die gleichen.

So ist die Union nach der Sommerpause von dem Problem gleich wieder eingeholt worden, das schon vor den Ferien für Unruhe gesorgt hatte: Die Kanzlerin bekommt die vielen Machtzentren ihrer Partei nicht in den Griff. Und ihr Koalitionspartner sitzt am Rande, lehnt sich behaglich im Sessel zurück und verfolgt mit einer Mischung aus Mitleid und Schadenfreude die Turbulenzen in der Union.

Doch zurück ins Feuer: Beruhigen könnte die Kanzlerin, dass ausgerechnet jene drei Ministerpräsidenten aus der Union sich in der Sache Schweigen auferlegt haben, die als besonders mächtig angesehen werden. Dass Jürgen Rüttgers, Roland Koch und Christian Wulff sich zurückhalten, wird freilich als so beruhigend denn doch nicht empfunden.

"Wenn die schweigen, sagt das doch gerade viel", sagt einer, der die Ränke im Parteipräsidium schon lange verfolgt. Und es heißt aus der Partei, dass diese drei sich schon deshalb zurückhielten, weil der Streit sonst eine ganz andere Dynamik bekäme. Dann würde aus der Sachfrage eine Machtfrage.

Es ginge dann nämlich um Merkels Macht und ob sie überhaupt stark genug ist, das Land zu regieren. "Deshalb ist die Sache ja so kompliziert", sagt ein Unions-Mann, der diesen Augenblick wie viele in den Ländern seit dem Sommer hat kommen sehen.

Denn schon an jenem Tag, als die Gesundheitsreform beschlossen wurde, war der Unterschied zu spüren zwischen denen, die drinnen sind in den Mühlen der Koalition, und denen, die draußen sind. Schon mehrmals wurde es für die Koalition zur Belastung, dass die meisten Granden der Union aus den Ländern bei Koalitions-Entscheidungen nicht dabei waren.

Diesmal wirken sie wie durch Welten getrennt: Die drinnen waren, bei den Verhandlungen, konnten nur die Hände ausbreiten und den Parteifreunden erklären, dass mehr nicht drin war. Von denen draußen schüttelten viele den Kopf. Von "unfassbarem Unfug" sprach ein Länderchef daheim. Ein anderer meinte, dass "gar keine Lösung besser gewesen wäre".

Mehrmals hat die Parteichefin in den Gremien danach den Beschluss referieren lassen. Eine offene Kontroverse hat dem Vernehmen nach niemals stattgefunden. Aber in dieser Woche sagte ein Ministerpräsident, der zu den Wohlmeinenden zählt und nicht als begriffsstutzig gilt, dass ihm bis heute noch keiner habe erklären können, wie das Ganze funktionieren soll. Er ist nicht der einzige.

Und drinnen, im Kreis derer, die alles ausgehandelt haben? Da versucht die Kanzlerin Kurs zu halten. Es gehört zu den bizarren Eigentümlichkeiten der Situation, dass Merkel alle Defizite dieser Reform wohl selbst nur zu gut kennt - und doch für sie kämpfen muss. Das Kanzleramt wird so in diesen Tagen zu einer Art Gesundheitsbunker, die Insassen scheinen zu glauben, dass da draußen alle, aber auch alle gegen sie sind und man sich daher gegen Kritik immunisieren muss - um die Kraft zu haben, die Stimmung zu wenden.

Vom Kummer gestählt

Von Wende ist jedoch derzeit nichts zu bemerken. Die Stimmung wird schlechter und als gereizt beschrieben, gerade in der bayerischen Landesgruppe, deren Chef Peter Ramsauer die von ihm mit ausgehandelte Reform demonstrativ unterstützt. Die wenigsten Abgeordneten hätten überhaupt versucht, sich dieser Reform dem Wesen nach anzunähern. Und niemand kann sagen, wie der Laden zusammengehalten werden soll, wenn der Druck von außen größer wird.

Den Laden zusammenhalten. Da könnte Merkel beim Koalitionspartner manches lernen. Wobei man fairerweise sagen muss, dass sich im Verhältnis der Bundes-SPD zu ihren Landesfürsten die vielen Wahlniederlagen nun quasi als Glücksfall erweisen: Schließlich gibt es kaum noch Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen - zwei davon haben sowieso keine Zeit, weil sie gerade wiedergewählt werden wollen, und Kurt Beck ist als Parteichef in Berlin eingebunden.

Deshalb hält sich der Abstimmungsbedarf in überschaubaren Grenzen und damit auch der dazugehörige Ärger. Und obwohl die eigenen Werte in den Umfragen stabil schlecht bleiben, schließt manch einer nicht aus, dass jene der Union schon bald noch schlechter werden.

Die eigenen Führungsleute bewegen sich einigermaßen geschlossen durch die zerklüftete Reformlandschaft, sieht man von Zwistigkeiten zwischen Vize-Kanzler Franz Müntefering und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ab, die sich gegenseitig Briefe schreiben.

Den Krawall auf der anderen Seite begleiten die Sozialdemokraten mit den immer gleichen Kommentaren: Die sind eben noch nicht in der Regierung angekommen. Was im Umkehrschluss für die eigenen Leute heißen soll: Wir wissen nach bald acht Jahren an der Regierung, wie man mit Kummer umzugehen hat.

Die Präsidiumssitzung am Montag war dafür ein hübsches Beispiel. Zur Versammlung erschienen die Führungsleute nicht nur geographisch, sondern auch politisch aus ganz verschiedenen Richtungen. Parteichef Kurt Beck hatte vorher vergeblich Ruhe verordnet.

Andrea Nahles und Christoph Matschie hatten sich dennoch am Wochenende als Kritiker der Gesundheitsreform in den Medien verewigt. Drinnen knurrte dann Fraktionschef Peter Struck, man solle doch die öffentlichen Bekundungen sein lassen - doch mehr an Streit war nicht.

Sehr schnell setzte sich statt dessen die Einsicht durch, dass man doch von den Turbulenzen der Union besser nicht durch eigene Streitereien ablenken solle. Gesagt hat das keiner, "aber im Subtext war es immer wieder zu hören", so ein Teilnehmer. Draußen vor der Presse pries dann Generalsekretär Hubertus Heil die SPD als Hort der Stabilität, die selbst ungeliebte Abmachungen wie die über den Gesundheitsfonds einhalte. Und dabei brachte er sogar das Kunststück fertig, nicht zu grinsen.

© SZ vom 13.09.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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