Gesundheitsfonds:"Nicht alles, was neu ist, ist besser"

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Wie die gesetzlichen Krankenversicherungen mit dem ungeliebten Gesundheitsfonds zurechtkommen wollen.

N. v. Hardenberg und C. Frank

Im Januar startet der viel kritisierte Gesundheitsfonds. Die Bürger müssen höhere Beiträge zur Krankenversicherung zahlen, und die Krankenkassen verlieren einen Teil ihrer Freiheit. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit der Vorsitzenden des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Doris Pfeiffer, über eine Reform, die keiner wollte.

Ärzten, Patienten und Kassen blüht eine Reform, die keiner wollte. (Foto: Foto: AP)

SZ: 2009 werden die Krankenkassen so teuer wie nie zuvor. Können Sie angesichts der Rezession einen Beitragssatz von 15,5 Prozent noch vertreten?

Pfeiffer: Es war eine politische Entscheidung, Ärzten und Krankenhäusern mehr Geld zu geben. Das bedeutet nun einmal auch höhere Beitragssätze.

SZ: Was halten Sie von den am Wochenende bekannt gewordenen Plänen der Regierung, Steuermittel zuzuschießen, um so die Beitragssätze zu senken?

Pfeiffer: Das Gesetz sieht ohnehin vor, dass der Steueranteil im Gesundheitsfonds langfristig auf 14 Milliarden Euro steigen soll. Diese Steuermittel schneller aufzustocken, fände ich sinnvoll. Wenn man das als Konjunkturmaßnahme machen will, dann so schnell wie möglich.

SZ: Derzeit werden zwei Vorschläge diskutiert - die Streichung des Sonderbeitrags von 0,9 Prozent , den nur die Versicherten zahlen, oder die Senkung des Beitragssatzes um einen Prozentpunkt, wovon auch Arbeitgeber profitieren würden. Welche Variante bevorzugen Sie?

Pfeiffer: SPD und Union haben den Zusatzbeitrag gemeinsam eingeführt. Sie sollten jetzt auch gemeinsam entscheiden, ob er bleiben soll oder nicht.

SZ: Sie hatten sogar einen Beitragssatz von 15,8 Prozent gefordert. Haben die Kassen das Maß verloren?

Pfeiffer: Nein, das war das Ergebnis nüchterner Berechnungen. Der Gesundheitsfonds soll laut Gesetz die Gesundheitsausgaben zu 100 Prozent finanzieren. Ein Beitrag von 15,5 Prozent ist dafür nach unseren Schätzungen zu wenig.

SZ: Ist die 15,5 also eine politische Zahl, weil sich die Politik im Wahljahr nicht mehr getraut hat?

Pfeiffer: Sagen wir so: 15,5 war für die Bundesregierung schon eine sehr hohe Zahl - immerhin ein Beitragssprung von 0,6 Prozentpunkten. Im Ergebnis ist die gesetzliche Krankenversicherung aber immer noch unterfinanziert, sodass wir mit Zusatzbeiträgen rechnen müssen.

SZ: Wann kommen die ersten Zusatzbeiträge?

Pfeiffer: Jede Kasse wird versuchen, das so lange wie möglich zu vermeiden. Ich rechne darum nicht vor dem zweiten Halbjahr mit Zusatzbeiträgen.

SZ: Wie wahrscheinlich ist, dass Kassen Geld zurückzahlen?

Pfeiffer: Angesichts der Gesamtsituation halte ich Ausschüttungen für die Ausnahme. Von den mehr als 200 Krankenkassen haben bisher erst zwei Kassen Prämienzahlungen angekündigt.

SZ: Sie sind als große Kritikerin des Gesundheitsfonds bekannt. Was sind aus Ihrer Sicht die guten Seiten am Fonds?

Pfeiffer: Das Gute ist, dass sich an der Versorgung nichts ändert. Viel mehr fällt mir nicht dazu ein.

SZ: Das heißt, es entstehen nur neue Kosten, und sonst ändert sich nichts?

Pfeiffer: Naja, ich kann nur hoffen, dass sich die Versorgung verbessert und sich die Wartezeiten der gesetzlich Versicherten reduzieren. Schließlich erhalten die Ärzte und Krankenhäuser deutlich mehr Geld. Das hat aber nichts mit dem Gesundheitsfonds zu tun.

SZ: Was bedeutet es für die Versorgung, wenn die Kassen aus dem Fonds zu wenig Geld erhalten?

Pfeiffer: Ich gehe davon aus, dass die Versorgung durch den Fonds nicht gefährdet ist. Natürlich müssen die Kassen sparen, aber keine Kasse kann es sich leisten, Versicherte zu verprellen. Schließlich gilt die freie Kassenwahl. Die Versicherten könnten jederzeit wechseln.

SZ: Der Druck auf die Kassen wächst. Erwarten Sie deshalb Fusionen?

Pfeiffer: Der Fusionsprozess wird sich verstärken. Aber welche Zahl am Ende übrig bleibt, ist Spekulation.

SZ: Haben Sie einen Tip, welche Kassen am ehesten überleben werden?

Pfeiffer: Einerseits haben große Kassen Vorteile, weil sie mit Ärzten, Kliniken und Pharmafirmen Rabatte aushandeln können. Andererseits können kleinere Kassen Marktnischen besetzen. Es gibt weder die optimale Größe noch die optimale Zahl an Kassen.

SZ: Fürchten Sie einen wachsenden Einfluss der Politik, also dass nach Ärzten und Kliniken das nächste Wahlgeschenk an die Apotheker geht?

Pfeiffer: Wir haben die Sorge, dass Sachentscheidungen stärker politisiert werden. Wir werden darauf hinweisen, dass solche zusätzlichen Ausgaben von Versicherten und Arbeitgebern finanziert werden müssen und dass die Politik hier die Interessen aller Bürger vertreten sollte, nicht nur die einzelner Gruppen.

SZ: Auch Ihr Spitzenverband ist den Kassen aufgezwungen worden, um sie besser zu kontrollieren. Fühlen Sie sich schon als Mündel der Politik?

Pfeiffer: Ich glaube, wir haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass wir gegenüber der Bundesregierung deutlich Position beziehen, etwa beim Thema Beitragssatz oder bei der Ausgabenentwicklung bei Ärzten und Kliniken.

SZ: Viel erreicht haben Sie trotzdem nicht - wie zuletzt bei den Krankenhäusern. Die bekommen jetzt doch mehr als die vereinbarten 3,5 Milliarden . . .

Pfeiffer: Wenn man bedenkt, dass die Krankenhäuser ursprünglich nach 6,7 Milliarden Euro gerufen haben und jetzt gut vier Milliarden bekommen, ist unser Erfolg nicht so gering. Es bleibt aber das Problem, dass die Regierung im Fonds nur 3,5 Milliarden dafür vorgesehen hat.

SZ: Müssen wir uns im Gesundheitswesen aufgrund der alternden Bevölkerung dauerhaft auf höhere Kosten einstellen?

Pfeiffer: Die demographische Entwicklung wird eine Rolle spielen, aber nicht die entscheidende. Wichtiger ist der medizinisch-technische Fortschritt. Da muss sich die Gesellschaft fragen: Was wollen wir uns leisten? Was ist ein echter Fortschritt und was ist nur eine Schein-Innovation? Nicht alles, was neu ist, ist automatisch besser. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir den gesellschaftlichen Konsens darüber bewahren, dass es weiter eine umfassende Versorgung für gesetzlich Versicherte geben muss.

© SZ vom 22.12.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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