Gesundheits- und Altersvorsorge:Abbau der sozialen Errungenschaften

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Präsident Bush will den Amerikanern mehr Verantwortung für ihre Gesundheits- und Altersvorsorge übertragen. Seine geplante Rentenreform könnte die sozialen Errungenschaften der Demokraten stärker beschädigen als es sich Radikalreformer wie Ronald Reagan je erträumt hätten.

Von Marc Hujer

Washington - Das New York Times Magazine druckte am Wochenende eine Karikatur von George W. Bush, vor sich einen großen Schmierzettel mit Zahlen.

"Die zweite Amtszeit - seine Berechnungen", stand in der Schlagzeile darunter, als hätten nach den aufreibenden Jahren der Irak- und Afghanistankriege wieder die Männer mit Ärmelschonern, Spitzer und Bleistift das Geschäft in Washington übernommen.

Über mehrere Seiten beschäftigt sich das Magazin damit, wie genau Bush die Rente reformieren könnte, auf welche Berechnungen sich seine Experten berufen, und warum die Reform vielleicht doch problematisch sein könnte.

Doch dann kommt der Satz, der den Kern der Debatte besser beschreibt als alle Zahlen. Bushs geplante Rentenreform, so das Magazin, könne die sozialen Errungenschaften der Demokraten stärker beschädigen als es sich Radikalreformer wie Ronald Reagan je erträumt hätten.

Die Republikaner haben jedenfalls einen festen Plan, der über die Rentenpolitik hinausgeht. Sie wollen nicht nur die Rentenversicherung teilprivatisieren, sie wollen auch in der Gesundheitspolitik ihre Idee ausbauen, wonach Versicherte ihre Arztkosten künftig von einem privaten Sparkonto bezahlen.

Keine horrenden Schadenersatzsummen mehr

Seinen Wählern versprach der Präsident, dass das komplette Steuerrecht überarbeitet wird und komplizierte Ausnahmeregelungen gestrichen werden.

Weit oben auf der Prioritätenliste steht angeblich, dass Unternehmen künftig keine horrenden Schadenersatzsummen mehr zahlen müssen, wenn sie von Kunden verklagt werden.

Stephen Moore, einer der führenden wirtschaftsliberalen Lobbyisten in Washington, gibt dem Verdacht Nahrung: "Was wir vorhaben, könnte man den konservativen New Deal nennen", sagte er.

Die Zeitschrift Businessweek schätzt, dass die amerikanischen Parteien und Verbände allein im PR-Kampf um die Sozialreformen mehr als 50 Millionen Dollar in diesem Jahr für Werbekampagnen ausgeben werden.

"Gesellschaft der Eigentümer"

Präsident Bush nennt sein Projekt "ownership society".

Er meint damit die Errichtung einer Gesellschaft von Eigentümern, nicht nur in der Altersvorsorge, sondern auch in der Krankenversicherung und der Steuergesetzgebung.

Es ist eine geschmeidige Umschreibung für Privatisierung und Steuersenkung. Sie klingt verführerisch, weil die großen Probleme der sozialen Sicherungssysteme so scheinbar ohne große Einschnitte zu lösen sind.

Auch in Amerika kostet das wachsende Alter der Bevölkerung zunehmend Geld. Die staatliche Rentenversicherung etwa wird vom Jahr 2018 an weniger einnehmen als ausgeben, und im Jahr 2048 kann sie Bush zufolge aus den laufenden Einnahmen nur noch drei Viertel der Leistungen bezahlen.

Entsprechend groß würde bei stabilen Leistungen das Defizit sein. In der staatlichen Krankenversicherung Medicare sieht es sogar noch schlechter aus.

Bush hat noch keinen konkreten Vorschlag gemacht. Aber im Grundsatz sind seine Vorstellungen, jedenfalls was die Rentenform betrifft, bekannt. Beitragserhöhungen hat er definitiv ausgeschlossen, und ein Reformgesetz will er nur unterzeichnen, wenn private Rentenkonten geschaffen werden.

Es bliebe also nur eine Reform nach dem Muster der Vorschläge von Bushs Rentenkommission aus dem Jahr 2001. Danach sollen Versicherte ein Drittel der Beiträge von zurzeit 12,4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in private Pensionsfonds abzweigen.

Zugleich sollen die Rentenleistungen nicht mehr wie jetzt an das Wachstum der Durchschnittslöhne angepasst werden, sondern an die Inflation.

Erster Test für den wiedergewählten Präsidenten

Die Rentenreform ist der erste, wichtige Test für den wiedergewählten Präsidenten. Und zurzeit sieht es nicht unbedingt gut für ihn aus.

Die Demokraten im Kongress stemmen sich in seltener Geschlossenheit gegen die Reform. Der Rentnerverband AARP, der 35 Millionen potienzielle Wähler vertritt, hat eine fünf Millionen Dollar teure Werbekampagne gegen die Reform begonnen, und selbst in den Reihen der Republikaner gibt es zahlreiche Stimmen, die vor dieser Reform zurückschrecken.

Anders als Bush, der laut Verfassung nicht mehr kandidieren kann, müssen viele Abgeordnete in zwei Jahren zur Wiederwahl antreten, und Bushs Rentenreform ist alles andere als beliebt unter den Wählern.

Es sind ehrgeizige Ziele, die Bush verfolgt. Allein die Rentenreform, durch die der Staat langfristig Geld einsparen will, wird in den nächsten zehn Jahren erst einmal bis zu zwei Billionen Dollar kosten.

Der Staatshaushalt bietet aber schon jetzt kaum Spielraum mehr für zusätzliche Ausgaben. "Es ist kein Wunder, dass die Demokraten gegen die Reformen sind", schreibt Businessweek. "Die Frage ist nur, können sich die Republikaner auf die Details verständigen."

"Die Revolution, die nach Hause kommt", titelte das britische Magazin Economist in der vergangenen Woche. Es meinte damit die Rentenreform, die Gesundheitsreform, die versprochene Vereinfachung des Steuersystems und die Abschaffung des Schadenersatzsystems.

Für Bush steht in den nächsten zwei Jahren viel auf dem Spiel - der Erfolg seiner Amtszeit und das, was man später sein Vermächtnis nennen wird.

© SZ vom 20.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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