Gesundheit:"Bürgerversicherung durch die Hintertür"

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Um die Koalition nicht zu gefährden, hatten Union und SPD die Gesundheitsreform bei den Verhandlungen ausgeklammert. Jetzt bricht der Streit wieder aus: Die Union ist fassungslos über den Vorstoß von Ulla Schmidt, Kassen- und Privatpatienten künftig gleich zu behandeln.

Die SPD-Politikerin wolle die Bürgerversicherung "über die Hintertür" einführen, sagte der baden-württembergische Sozialminister Andreas Renner im ZDF. Damit halte sie sich nicht an die Koalitionsvereinbarung, kritisierte der CDU-Politiker.

Ginge es nach Gesundheitsministerin Schmidt, würde der Kreis der gesetzlich Versicherten erweitert. (Foto: Foto: ddp)

Renner warf Schmidt vor, sie wolle "auf dem schleichenden Weg die Private Krankenversicherung abschaffen. Und das ist etwas, was wir nicht wollen. Das steht auch so im Koalitionsvertrag", sagte der CDU-Landesminister.

Die designierte Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich befremdet über die Pläne von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die Ärztehonorare für gesetzliche und private Krankenversicherte angleichen zu wollen. Das stehe so in der Koalitionsvereinbarung nicht drin, sagte die CDU-Vorsitzende in einer Festrede beim Verband der Deutschen Zeitschriftenverleger in Berlin.

Die bevorstehenden Arbeiten im Bereich der Gesundheitspolitik bezeichnete Merkel als die schwierigsten. Es müsse alles daran gesetzt werden, das System wettbewerbsfähig zu machen.

"Nur die Koalition hat die Kraft, Ungerechtigkeiten zu beseitigen"

Schmidt bekräftigte dagegen ihr Vorhaben, die Ärzte zu zwingen, gesetzlich und Privatversicherte künftig gleich zu behandeln. Dafür sollen die Honorare für die Mediziner angeglichen werden. An ihre Kritiker appellierte sie, sich an der Diskussion zu beteiligen und nicht gleich zu protestieren.

Es herrsche zunehmend Verärgerung darüber, dass Kassenpatienten beispielsweise für Untersuchungen wie eine Mammographie einen Termin erst in zwei Monaten bekämen, Privatpatienten aber gleich drangenommen würden. "Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, dazu hat nur die große Koalition die Kraft", sagte Schmidt, die ihr Amt auch nach dem Regierungswechsel behält.

Sie gehe nicht davon aus, dass das schwarz-rote Bündnis in dieser Legislaturperiode über die widerstreitenden Konzepte Bürgerversicherung oder Kopfpauschale entscheiden werde. Jenseits dieser Grundsatzfrage wolle man aber daran gehen, die Strukturen in Ordnung zu bringen. Es gelte, "jetzt die Chance zu nutzen, einen Strukturwandel einzuleiten, um Transparenz und Wettbewerb zu schaffen", sagte Schmidt. Wenn es gelinge, dass Gesundheitswesen gerechter und effizienter zu machen, "dann hätte sich die große Koalition schon gelohnt."

Die Vorschläge hatten bei Ärzten und privaten Kassen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Ärzteverband Hartmannbund drohte Schmidt gar mit einem "heißen Winter". Der Chef des Hartmannbundes, Kuno Winn, sagte der Berliner Zeitung: "Der Frust in der Ärzteschaft sitzt so tief, dass wir weitere Zumutungen für die Patienten und uns strikt ablehnen." Schon heute sei der finanzielle Druck in den meisten Praxen enorm.

"Ärzte sind auf Zusatzeinnahmen angewiesen"

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fürchtet ebenfalls negative Folgen für die Ärzte. "Man muss davon ausgehen, dass die Sätze der privaten Krankenversicherung gesenkt werden", sagte KBV-Vorstandschef Andreas Köhler in einem dpa-Gespräch. "Viele Ärzte sind dringend auf die Zusatzeinnahmen aus der Privaten Krankenversicherung angewiesen." Mehrere Krankenkassen begrüßten dagegen das Vorhaben.

Nach den Worten von Schmidts Berater Karl Lauterbach sollen die Privatversicherten insgesamt stärker belastet werden. Der SPD-Gesundheitsexperte sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die nächste Reform wird scheitern, wenn Privatversicherte nicht stärker einbezogen werden."

Seine Forderung begründete er mit der höheren Mehrwertsteuer im Jahr 2007. "In dieser Lage können wir die Menschen nicht noch weiter belasten, in dem die Zuzahlungen für Medikamente und Arztleistungen steigen", sagte er.

Lauterbach regte an, den Finanzausgleich der gesetzlichen Kassen auch auf die Privatversicherer auszudehnen. Möglich sei es auch, den Kreis der gesetzlich Versicherten zu erweitern. Derzeit können Angestellte mit einem Einkommen von mehr als 3900 Euro Bruttolohn im Monat in die Privatversicherung wechseln.

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