Gespräch mit Prodi:"Wer die Italiener zufriedenstellt, regiert nicht gut"

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Ein SZ-Interview mit Premier Romano Prodi über die schwierigen Reformen in seinem Land, Gegenspieler Berlusconi und die Mafia.

Stefan Ulrich

Romano Prodi ist nicht anzumerken, wie sehr seine Regierung ums Überleben kämpfen muss. Gelassen wie ein Buddha sitzt der Premier im barocken Palazzo Chigi in Rom und spricht über die schwierige Koalition, die Macht Berlusconis, Immigranten, Fußballkrawalle, die Mafia und die Stärken von Italienern und Deutschen. Ab und an erklingt Beethovens Ode an die Freude - der Klingelton seines Handys. An diesem Dienstag kommt er nach Berlin.

Romano Prodi: Der italienische Premier will sein Land wieder zu einer "normalen Demokratie" machen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Ihre Mehrheit im Parlament ist hauchdünn. Ihre Koalition ist chronisch zerstritten. Oppositionsführer Silvio Berlusconi prophezeit täglich Ihren Sturz. Dennoch überstehen Sie Krise um Krise.

Prodi: Die alte Regierung Berlusconi hat uns ein Wahlrecht beschwert, das uns zu Koalitionen mit vielen Parteien zwingt. Diese Parteien müssen sich dauernd streiten, um sich bei den Wählern bemerkbar zu machen. Trotzdem konnte ich eine Regierung bilden, die als Mannschaft auftritt. Sie arbeitet von Monat zu Monat besser zusammen und trifft Entscheidungen. So wird es weitergehen.

SZ: Berlusconi sagt aber, so werde es unmöglich weitergehen.

Prodi: Der Oppositionsführer macht halt seinen Job. Er behauptet dauernd, wenn schon nicht heute, dann werde ich eben morgen scheitern. Wenn das so weitergeht, landen wir in der Ewigkeit.

SZ: Ihre Regierung hatte doch größte Probleme, sich zu Entscheidungen durchzuringen: beim Afghanistan-Einsatz, bei der Reform der Sozialsysteme ...

Prodi: Natürlich. Am Anfang hatten wir viele Probleme. Aber es werden immer weniger. Denn unsere Koalition erlernt eine Philosophie des Regierens. Gerade in einem Land wie Italien ist es wichtig, auch die Parteien, die am Rande des politischen Spektrums stehen, in die Regierungsarbeit einzubeziehen.

SZ: Was verstehen Sie unter ,,Philosophie des Regierens''? Die Beteiligung von Kommunisten, von Linksradikalen?

Prodi: Wir binden auch solche Kräfte ein. Sie haben es in der Geschichte vorgezogen, zu protestieren und sich abzusondern, statt sich für Reformen einzusetzen. Heute arbeiten sie in unserer Koalition mit. Genau das - die Einbindung der extremen Flügel - ist eine der großen Aufgaben unserer Demokratie.

SZ: Ihre Koalition reicht von Kommunisten bis zu Christdemokraten. Ist es sinnvoll, mit einer so heterogenen Allianz zu regieren?

Prodi: Zugegeben, unsere Spannbreite ist groß. Doch ich frage mich, ob meine Koalition heterogener ist als die deutsche. Die Regierung Merkel umfasst fast das ganze politische Spektrum in Deutschland - während ich mich mit der linken Hälfte begnüge.

SZ: Die deutsche Regierung trifft zumindest einige Entscheidungen.

Prodi: Auch wir treffen Entscheidungen, einige sind mit denen in Deutschland identisch. Etwa die Senkung der Unternehmensteuer. Wir haben damit begonnen, die Wirtschaft zu liberalisieren und Alitalia zu privatisieren. Wir haben unsere Truppen aus dem Irak zurückgezogen und die internationale Libanon-Mission durchgesetzt. Natürlich muss ich dabei viel vermitteln. Denn die Zahl der Parteien in meiner Koalition ist groß.

SZ: Wie groß?

Prodi: Ich denke, es sind derzeit im Wesentlichen neun, zehn Parteien.

SZ: Was würden Sie tun, wenn Sie von diesen Parteien nicht gebremst würden?

Prodi: Als Erstes würde ich das Wahlrecht ändern. Denn mit dem können wir nicht weitermachen. Aber über eine Reform herrscht weder in der Linken noch in der Rechten Einigkeit.

SZ: Was würden Sie noch ändern?

Prodi: Das politische System und die öffentliche Verwaltung. Doch da gibt es einen lagerübergreifenden Block der Blockierer, der es so schwermacht, den Staatsapparat und das Verwaltungssystem zu verschlanken. Ohne solche radikale Reformen aber ist es unmöglich, den Staatshaushalt zu sanieren und Italien zu neuen Horizonten zu führen.

SZ: Und genau das fordern die Bürger.

Prodi: Ja, abstrakt. Sobald es konkret wird - wenn ich etwa vorschlage, Sozialversicherungs-Träger zusammenzulegen - formieren sich schlagartig Gegen-Bündnisse, die alles blockieren. Dennoch versuchen wir, unser Regierungsprogramm umzusetzen.

SZ: Dazu gehört es, Medien-Pluralismus zu schaffen. Doch auch nach eineinhalb Jahren Regierung Prodi besitzt Oppositionsführer Berlusconi nahezu das gesamte Privatfernsehen.

Prodi: Es geht nicht nur ums Fernsehen. Berlusconi besitzt auch die größte Wochenzeitung Italiens, den größten Buchverlag, Tageszeitungen und die größte Werbegesellschaft. Trotz dieser medialen Übermacht Berlusconis kommt meine Regierung voran. Wir haben auch ein Gesetz für mehr Pluralismus in den Medien vorbereitet. Aber im Parlament wurden dazu 1400 Änderungsanträge eingebracht. 1280 stammen von Forza Italia, also von einer Partei, die ebenfalls Berlusconi gehört. Deshalb ist Italien ein anormales Land. Und deshalb ist meine Rolle als Gegengewicht für die Demokratie in Italien so wichtig.

SZ: Sie sehen Ihre Aufgabe darin, ...

Prodi: ... Italien wieder zu einer normalen Demokratie zu machen.

SZ:Manche Beobachter haben ja den Eindruck, es gebe eine Absprache zwischen Ihnen und Berlusconi: Sie dürfen noch etwas regieren, und dafür bleibt Berlusconis Medienreich unangetastet.

Prodi: Eine solche Vereinbarung gibt es absolut nicht. Ich habe mich in meinem Leben nie auf einen Kuhhandel eingelassen. Ich empfinde Berlusconis Medienmonopol als Gefahr für die Demokratie. Deswegen muss es per Gesetz korrigiert werden. Doch dieses Gesetz, das niemanden abstrafen soll und die Situation zumindest teilweise verbessern wird, wird bislang im Parlament durch all die Änderungsanträge blockiert.

SZ: Auf Ihre Initiative hin ist in Italien gerade eine moderat linke Reformpartei gegründet worden: die Demokraten. Was erhoffen Sie sich von ihr?

Prodi: Stabilität. Ich bin vor mehr als zwölf Jahren in die Politik gegangen, um die Reformer und die Moderaten zusammenzuführen. Denn ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, Italien zu stabilisieren. Unser Land braucht zwei große Parteien, eine Mitte-rechts- und eine Mitte-links-Partei. Meine Aufgabe war es, die Mitte-links-Partei zu schaffen. Das ist nun gelungen. Die Rechte muss nun nachziehen.

SZ: Walter Veltroni, der neue Parteichef der Demokraten, ist sehr populär. Ihre Regierung dagegen erhält keine guten Umfragewerte. Wäre es nicht besser, Sie überließen das Premiersamt Veltroni?

Prodi: Erstens: Die Umfragen sind tatsächlich schlecht. Aber das liegt daran, dass ich in der ersten Regierungsphase unpopuläre Entscheidungen getroffen habe, um den Staatshaushalt zu sanieren. Zweitens: Die Wahlen habe ich gewonnen - und nicht Veltroni. Ich habe sie trotz einer beeindruckenden Medienkampagne Berlusconis gewonnen. Und deshalb werde ich nun auch für fünf Jahre regieren, es sei denn, das Parlament entzieht mir das Vertrauen.

SZ: Was sagt Veltroni dazu?

Prodi: Veltroni und ich haben immer zusammengearbeitet. Ich habe bereits angekündigt, nach Ende dieser Legislaturperiode nicht mehr anzutreten. Daher gibt es einen Zeitplan zwischen Veltroni und mir, der sowohl die Demokratie und unser Verhältnis zueinander respektiert.

SZ: Die Italiener sind wütend über die Politiker. Populisten wie der Komiker Beppe Grillo, der eine Zerstörung der Parteien fordert, haben Zulauf. Warum?

Prodi: Ich verkenne die Unzufriedenheit der Bürger nicht. Doch wer in Italien in der heutigen Lage die Leute zufriedenstellt, regiert nicht gut. Erst müssen die Probleme des Landes gelöst werden. Dann wird sich auch Zufriedenheit einstellen. Eines an der Kampagne von Beppe Grillo aber ist gerechtfertigt: Die Kritik an den exzessiven Kosten der Politik und der Verwaltung. Wir versuchen, das ganze System zu straffen. Doch das ist das Schwierigste, was Sie in Italien machen können.

SZ: Italien gilt als tolerantes, friedliches Land. Zur Zeit aber kommt es zu vielen Gewaltausbrüchen etwa im Umfeld des Fußballs. Die Bürger in den Städten fühlen sich nicht mehr sicher. Ändert Ihr Land seinen Charakter?

Prodi: Die Kriminalitäts-Statistiken zeigen keine dramatischen Veränderungen. Dennoch herrscht in Italien ein extremes Gefühl der Angst, weil sich die Gesellschaft rasch verändert. Das wichtigste Phänomen ist dabei die Immigration. Ihr Deutschen erlebt die Einwanderung seit 40 Jahren, ihr habt euch allmählich daran gewöhnt. Italien dagegen war bis vor kurzem ein Land, aus dem die Menschen auswanderten. Nun ist es plötzlich ein Einwanderungsland geworden. Das verunsichert die Italiener.

SZ: Nun ist die Kriminalität unter den Immigranten tatsächlich hoch. Innenminister Giuliano Amato warnt deswegen vor einer faschistischen Wende. Es kam zu Übergriffen auf Rumänen. Was sagen Sie dazu?

Prodi: Nennen Sie es faschistisch, nennen Sie es anders, das Grundproblem ist immer die Angst. Sie führte zu Vorfällen, die unserer Tradition fremd sind.

SZ: Was kann der Staat tun?

Prodi: Er muss den Immigrations-Prozess begleiten, indem er die Gesetze streng durchsetzt. Die Polizei muss bei Verstößen rasch eingreifen, die Gerichte müssen schnell entscheiden. Wir müssen uns um Integration kümmern und Verständnis für Einwanderer wecken.

SZ: Denn Italien braucht sie.

Prodi: Viele Familien sind heute auf ausländische Kindermädchen und Pflegekräfte angewiesen. Sie sind unersetzlich. Und dauernd rufen mich Unternehmer an, um mir zu sagen, wie dringend sie die Rumänen brauchen. Die Probleme mit der Einwanderung werden verschwinden, wenn die Italiener begreifen, dass wir mittlerweile ein multiethnisches Land sind; und wenn sie das Gefühl bekommen, dass der Staat die Gesetze bei allen, auch den Immigranten, durchsetzt.

SZ: Nun haben die Exzesse im Umfeld des Fußballs nichts mit der Integration zu tun. Vielmehr haben Italiener Kasernen angegriffen, nachdem ein Fan von einem Polizisten erschossen wurde.

Prodi: Diese Versuche, die Gesellschaft zu zerstören, sind surreal. Politik spielt dabei keine große Rolle. Es geht nur darum, zusammenzukommen, um gewalttätig zu werden. Ich habe Tausende Erklärungsversuche gehört, aber sie überzeugen mich nicht. Manchmal muss ein Politiker zugeben, dass er ratlos ist. Was mich besonders erschreckte, war dieses plötzliche Tamtam, das durch so viele Städte ging, diese Aufrufe, sich gegen den Staat und die Polizei zusammenzurotten. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas wirklich geschehen könnte.

SZ: Reagierte der Staat bislang zu lax?

Prodi: Nein. Wir haben auf frühere Vorfälle scharf reagiert, etwa mit Reiseverboten und Spielen in leeren Stadien. Wir können nicht einmal sagen, es fehle an Gesetzen zum Eingreifen. Dass es trotzdem zu solchen Gewaltausbrüchen kommen konnte, ist mir unerklärlich.

SZ: Macht Ihnen das Angst?

Prodi: Ja.

SZ: Ein weiteres Kriminalitätsproblem ist die Mafia. Die kalabrische 'Ndrangheta mordet mittlerweile auch in Deutschland, wie sich in Duisburg zeigte. Wird sie von Italien genug bekämpft?

Prodi: Wir haben gewaltige Erfolge im Kampf gegen die Cosa Nostra auf Sizilien. Wir haben sie durch Verhaftungen mehrmals enthauptet. Auch die 'Ndrangheta wird bekämpft. Das Problem aber ist, dass sie sich aus geschlossenen Familien zusammensetzt, in die der Staat nur schwer hineinblickt. Die Morde von Duisburg zeigen, wie sehr sich die 'Ndrangheta ausgedehnt hat. Sie wurzelt in Kalabrien, doch ihre Zweige reichen in viele Länder. Wir hoffen, dass die Bürger Kalabriens genauso gegen das organisierte Verbrechen rebellieren, wie es die Sizilianer bereits begonnen haben. Denn der Staat siegt, wenn auch die Gesellschaft reagiert. Wenn die Mafia nicht aus der Kultur getilgt wird, wird sie sich stets erneuern.

SZ: Sie waren früher Präsident der EU-Kommission. Sind Sie zufrieden mit dem neuen europäischen Grundlagenvertrag, der in Lissabon beschlossen wurde?

Prodi: "Zufrieden" ist ein großes Wort. Ich hätte mir eine größere Reform gewünscht. Aber in der gegenwärtigen Lage Europas war nicht mehr zu erreichen.

SZ: Europa wächst in die Breite, aber nicht mehr in die Tiefe. Wird es sich so in der Welt behaupten?

Prodi: Nein, nein und nochmals nein! Wir brauchen mehr Integration. Wir Europäer können es uns nicht mehr leisten, bei den großen Krisen der Welt uneinig zu sein. Die Globalisierung wird uns zu einem Sprung nach vorne zwingen.

SZ: Braucht Europa dafür eine Avantgarde integrationsfreudiger Länder?

Prodi: Ich hoffe, dass alle Mitgliedsländer gemeinsam vorankommen. Aber ich habe auch nichts dagegen, wenn einige Länder, wie beim Euro, eine Vorhut bilden. Wichtig ist, dass auch dann die Türe für alle offen bleibt.

SZ: Wie steht es um die Beziehung zwischen Italien und Deutschland?

Prodi: Unsere Länder kommen sehr gut miteinander aus. Auf dem Gipfeltreffen in Deutschland gibt es keine Probleme zu lösen. Es geht vielmehr darum, noch enger zusammenzuarbeiten, etwa bei den Transportsystemen und in der Energiepolitik.

SZ: Können beide Länder voneinander lernen?

Prodi: Wir sollten uns vermischen. Im Ernst: Was ich an Deutschland schätze, ist die Struktur der Gesellschaft, die Kultur der Arbeit. Außergewöhnlich produktiv, ohne übermäßige Anstrengungen. Deutschland ist effizient, ohne dass sich die Menschen überarbeiten. Und entgegen dem, was alle glauben, verstehen sie zu leben, die Deutschen.

SZ: Und was können die Deutschen lernen?

Prodi: Regierungskunst (lacht). Wie man in schwierigen Situationen weiterkommt. Wie man in Notlagen Haltung bewahrt. Italien versteht es, Krisen zu meistern. Unser Zivilschutz zum Beispiel ist einmalig. Und denken Sie an unserer vielen kleinen, auch im Export erfolgreichen Firmen. Das ist unsere Stärke: Im kleinen Team große Ziele zu erreichen.

SZ: Welche Pläne haben Sie für Ihr Leben nach der Politik?

Prodi: Ich gehe an die Universität Bologna und lehre dort die Kunst, Koalitionskrisen zu meistern.

© SZ vom 20.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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