Geschichte:Der lange Weg der Türkei nach Europa (II)

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Die europäisch-türkische Geschichte ist kompliziert und von vielen Kriegen geprägt. Von der zweiten Belagerung Wiens bis zum Zypern-Konflikt: Wie das Osmanische Reich das christliche Abendland bedrohte und die türkische Republik sich durch Nationalitätenkonflikte international ins Abseits manövrierte.

Von Bernd Oswald

Bei seiner zweiten Belagerung sah sich Wien im Spätsommer 1683 sogar 200.000 osmanischen Soldaten gegenüber, die auch einige Verteidigungsringe durchbrachen. Nach zweimonatiger Belagerung brachte ein Entsatzheer unter der Führung des polnischen Königs Johann Sobieski die Wende.

Die Zusammensetzung seiner Truppen zeigt, dass die osmanische Belagerung im ganzen christlichen Abendland als Bedrohnung empfunden wurde. Sobieski wurde nicht nur von österreichischen, sondern auch von sächsischen, bayerischen und fränkisch-schwäbischen Truppen unterstützt.

19. Jahrhundert: Verlust des Balkans

Nachdem der Truppenkern der Osmanen aufgerieben worden war, ergriffen die Türken überstürzt die Flucht. Das Reich der Habsburger brauchte lange Zeit um sich von der Verwüstung Niederösterreichs und dem Menschenraub durch die Türken zu erholen. Dennoch wurde durch diesen Sieg der Christen die schrittweise Zurückdrängung des osmanischen Machtbereichs in Europa eingeleitet.

Vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts geht es mit dem osmanischen Reich steil bergab. 1867 erhalten die Serben die Selbstverwaltung, 1878 dann die Unabhängigkeit ebenso wie Rumänien und Montenegro. Bosnien und Herzegowina kommen zu den Habsburgern und Bulgarien erlangt eine Autonomie.Die Insel Zypern wird gegen eine Pacht an Grossbritannien abgegeben. 1881 Frankreich besetzt Tunesien, ein Jahr später marschieren die Engländer in Ägypten ein.

Türkei = nur noch 10 Prozent des Osmanischen Reiches

1913 hat das Osmanische Reich bis auf Ostthrakien alle Besitzungen auf dem europäischen Festland verloren. Im 1914 ausbrechenden Ersten Weltkrieg schlagen sich die Türken auf die Seite Deutschlands und Österreichs. Im selben Jahr wird Zypern von den Engländern besetzt. Am 30.10.1918 unterzeichnet Sultan Mehmed VI. einen Waffenstillstandvertrag mit den Alliierten. Das Osmanische Reich verliert 90 Prozent seines Gebietes. Übrig bleiben lediglich Anatolien und Ostthrakien.

1919 betritt der Militär Mustafa Kemal die Bühne der Weltgeschichte. Kemal strebt die Hinwendung des Landes zum Westen und die Trennung von Religion und Staat nach westlichem Vorbild an. 1922 wird das Sultanat abgeschafft, am 29. Oktober 1923 ruft Kemal die türkische Republik aus. Damit ist das Osmanische Reich endgültig erloschen. Kemal wird zum ersten Präsidenten der Türkei gewählt und verlegt die Hauptstadt nach Ankara.

Stellvertreter-Konflikt auf Zypern

Kemal, dem das Parlament 1934 den Ehrentitel Atatürk, Vater der Türken, verleiht, hat auch mit den vielen Nationalitätenproblemen seines Landes zu kämpfen. 1921 einigt er sich mit Griechenland im Friedensvertrag auf eine der größten Umsiedlungsaktionen der Geschichte. Fast 1,5 Millionen Griechen werden auf das griechische Festland und die Inseln umgesiedelt. Umgekehrt kehren hunderttausende Türken in ihre neue Republik zurück.

Dieser Konflikt ist bis heute im Grunde nicht beigelegt,obwohl es immer wieder Anzeichen einer Annäherung zwischen Türken und Griechen gibt, etwa den Freundschaftsvertrag von 1930.

Der griechisch-türkische Konflikt findet stellvertretend auf der Insel Zypern statt, die 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen wird. Es kommt immerwieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen und dem griechischen Bevölkerungsanteil. 1974 marschiert das türkische Militär ein und besetzt den nördlichen Teil der Insel, die seitdem geteilt ist.

Politik stärker als Krieg

Hier schließt sich nun der Kreis: Am 1. Mai 2004 trat die Republik Zypern, also der griechische Teil der Insel, der EU bei. Eine wenige Tage vorher stattfindende Volksabstimmung zur Vereinigung der Insel war überraschend am Veto der griechischen Zyprer gescheitert.

Auf dem Brüssler EU-Gipfel vom Dezember 2004 hat die EU schließlich der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zugestimmt. Nach zähen Verhandlungen akzeptierte Ankara die gleichzeitig gestellte Bedingung, Zypern anzuerkennen. Das EU-Mitglied Zypern hätte sonst den Verhandlungsbeginn per Veto verhindern können.

Falls die Verhandlungen zu einem positiven Ende geführt werden können, kommt die Türkei doch noch in die Mitte Europas. Einige Jahrzehnte Politik schaffen dann, was einige Jahrhunderte Krieg nicht geschafft haben.

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