Gefährliche Möbel?:Heimwerker-Gen defekt

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Ikea ruft in den USA nach Todesfällen Millionen Kommoden zurück. Doch ein Problem bleibt - schuld sind eigentlich nicht die Kommoden, sondern Verbraucher.

Von Peter Fahrenholz

Was macht ein Hersteller in einem Land, in dem selbst für einen zu heiß ausgeschenkten Kaffee Millionen an Entschädigung fällig werden können - für denjenigen, der sich die Zunge daran verbrennt? Er geht lieber auf Nummer sicher. Deshalb ruft die schwedische Möbelkette Ikea in den USA 36 Millionen Kommoden des Modells Malm zurück. Die US-Verbraucherschutzbehörde CPSC macht die Möbelstücke für den Tod von sechs Kleinkindern verantwortlich, die von umstürzenden Kommoden erschlagen wurden. Der Rückruf ist eine Vorsichtsmaßnahme (in den USA werden nun mal gerne bizarre Schadenersatzurteile gefällt), aber lösen wird er das Problem nicht. Denn so tragisch die Unglücksfälle auch sind - schuld daran sind nicht die Kommoden. Sondern die Eltern. Und zwar ausnahmslos.

Zwar ist das Modell Malm, wie jeder weiß, der es besitzt, ein besonders instabiles Möbelstück; zwei Schubladen, die gleichzeitig aufgezogen werden, können reichen, um es aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber ansonsten reagiert auch diese Kommode wie jedes Möbelstück, das eine relativ geringe Tiefe aufweist und nicht tonnenschwer ist: Wenn man daran zieht, kippt es um. Das ist bei einer Kommode so, bei einem Bücherregal, bei einem Schrank. Deshalb muss aber keiner, der kleine Kinder hat, die nun mal gerne an allem ziehen oder versuchen draufzuklettern, zur Radikallösung greifen und alle Kommoden, Schränke und Bücherregale aus der Wohnung werfen. Es reicht, sie an der Wand zu befestigen.

Das ist so simpel, dass man dafür nicht mit dem Heimwerker-Gen gesegnet sein muss, selbst zwei linke Hände reichen aus. Man braucht dafür ein bis zwei Winkeleisen (Vorsichtige tendieren eher zu zweien), Dübel, Schrauben und eine Bohrmaschine. Sowie einen Bleistift oder einen spitzen Gegenstand, um die Stelle zu markieren, an der man die Löcher bohren möchte. Der gewissenhafte Heimwerker wird das Möbelstück dann noch mal von der Wand wegrücken, um den Bohrstaub zu entfernen, denn wenn alles festgeschraubt ist, ist es dafür zu spät.

Dass man kipplige Möbel festschraubt (oder auch die herkömmlichen Fenstergriffe durch abschließbare ersetzt), sollte eigentlich jeder wissen, der kleine Kinder hat. Und für den, der es nicht weiß, stehen entsprechende Hinweise auf der Gebrauchsanweisung von Ikea-Möbeln, die man ja meistens selber zusammenbauen muss. In den USA hatte Ikea im vergangenen Jahr sogar kostenlose Sets zur Befestigung verteilt, nachdem es Berichte über tödliche Unfälle gegeben hatte.

Juristisch kann man damit trotzdem schnell in heikles Fahrwasser geraten. Wie deutlich müssen Warnhinweise sein, wie unübersehbar müssen sie platziert werden? Wer ist schuld, wenn sie einfach nicht gelesen werden? Im Falle von Ikea kommt ein weiteres Problem hinzu. Ein Rückruf dient normalerweise dazu, einen Fehler zu beheben oder ein defektes Teil auszutauschen. Aber die Malm-Kommoden sind ja gar nicht defekt. Es sind einfach gewöhnliche Kommoden, die umkippen können, wenn sie nicht befestigt sind. Insofern wäre es wahrscheinlich die klügere Idee gewesen, ein Heer von Studenten loszuschicken, um sämtliche Malm-Kommoden in den USA an die Wand zu dübeln.

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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