Gedenktag zur Abschaffung der Sklaverei:Wir haben euch verkauft

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Vor 200 Jahren schaffte England die Sklaverei ab. Dafür feiert es sich derzeit selbst. Manche Regionen in Afrika versuchen dagegen, Kapital für den Tourismus aus der Geschichte zu schlagen.

Andreas Eckert

Der Autor ist Professor für Afrikanische Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität.

Fußfesseln aus dem Sklavereimuseum in Liverpool (Foto: Foto: AP)

In einigen europäischen Ländern, vor allem in England, ist das Gedenken an Sklavenhandel und Sklaverei derzeit allgegenwärtig. Formaler Anlass ist die zweihundertjährige Wiederkehr der Entscheidung des britischen Parlaments, den Sklavenhandel mit britischen und anderen Kolonien für unrechtmäßig zu erklären.

Vor einigen Monaten bereits hatte der damalige Premierminister Tony Blair noch einmal sein "tiefes Bedauern" angesichts der schätzungsweise knapp vier Millionen afrikanischen Sklaven ausgedrückt, die allein auf britischen Schiffen in die sogenannte Neue Welt verschleppt wurden, um auf den dortigen Plantagen zu schuften. Unter Führung des Erzbischofs von Canterbury gedachte man in London mit einem "walk of witness" dieses traurigen Kapitels der Menschheitsgeschichte.

In Liverpool, das im Zentrum der Festlichkeiten zum 200. Jahrestag der Abolition steht, öffnet dieser Tage das International Slavery Museum seine Tore, das, wie die Internetseite verheißt, "ein größeres Bewusstsein für das Erbe der Sklaverei vermitteln" will.

Die Stadt am Mersey war vor allem im 18. Jahrhundert der wichtigste Sklavenhafen Europas. Hier liefen Schiffe aus, beladen mit Textilien, Eisenwaren und Waffen, die an der afrikanischen Westküste gegen Sklaven getauscht wurden. Hier landeten Schiffe mit Plantagenprodukten aus Nord- und Südamerika, etwa Zucker und Baumwolle, die Bezahlung für Sklaven waren und auf Sklavenarbeit basierten.

London, Zucker, Sklaverei

Der auf diese Weise erworbene Reichtum manifestierte sich, zum Teil noch heute sichtbar, in repräsentativen Wohnhäusern und Faktoreien. Sklavenhändler investierten damals in den Auf- und Ausbau des Bankenwesens.

Auch in vielen anderen englischen Städten laufen große Ausstellungsprojekte an. Im Londoner Museum of Docklands wird im Herbst eine Dauerausstellung zum Thema "London, Zucker und Sklaverei" eröffnet. Sie erinnert an die vielleicht wichtigste von Sklaven produzierte Ware: Zucker veränderte nicht nur nachhaltig die Konsumgewohnheiten in Europa, sondern verhalf beispielsweise auch dem Zahnarztberuf zu einem beträchtlichen Aufschwung.

Das nordenglische Hull feiert derweil den berühmtesten Sohn der Stadt, William Wilberforce, einen Evangelikalen und begnadeten Redner zudem, der im britischen Parlament die Kampagne zur Abschaffung des Sklavenhandels anführte.

"Man wird das Gefühl nicht los", ätzte unlängst der in Sussex lehrende Kulturwissenschaftler Marcus Wood, "dass es bei diesem Erinnerungshype weniger um Sklaverei geht als darum, sich irgendwie gut zu fühlen. Ganz wie seinerzeit die Abolitionisten."

Emblem moralischer Überlegenheit

Damit spielte Wood darauf an, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts die meisten Protagonisten den Kampf gegen den Sklavenhandel als christlich motivierte Mission empfanden, als moralische Reinigung, die half, das sündenhafte Selbst zu überwinden.

Der Appell an das Mit-Leiden mit den Versklavten verknüpfte sich mit der Verheißung des reinen Gewissens. Überdies stand in Großbritannien der Erfolg der Anti-Sklaverei-Bewegung im Einklang mit einem nach dem Verlust der nordamerikanischen Kolonien neu formulierten nationalen Interesse.

Der Kampf gegen Sklavenhandel und Sklaverei wurde zu einem Emblem nationaler Tugend, ein Mittel, mit dem sich die Briten ihrer angeborenen Freiheitsliebe und ihrer moralischen Überlegenheit gegenüber anderen Völkern versichern konnten.

Doch wie ist es mit der Erinnerung an den Sklavenhandel in jenen Regionen Westafrikas bestellt, die stark vom Handel mit der Ware Mensch geprägt wurden? Eine Spontanumfrage in einer Kneipe in der ghanaischen Hauptstadt Accra offenbart jedenfalls freundliche Ignoranz. "200 Jahre Abolition? Interessant. Wir feiern gerade fünfzig Jahre Unabhängigkeit, Befreiung vom kolonialen Joch", sagt freundlich ein Mann in einen Sweatshirt, welches den Aufdruck "Unsere Unabhängigkeit. Unser Land. Unsere Freiheit" trägt.

Im Übrigen wollen er und die anderen lieber über den Africa Cup im Fußball reden, der im kommenden Jahr in Ghana stattfindet. "Wir werden sie alle schlagen."

Rolle afrikanischer Herrscher ist ein Tabuthema

Genau im Blick hat die Feiern zum Verbot des Sklavenhandels hingegen das neu geschaffene ghanaische Ministerium für "Tourismus und Diasporaangelegenheiten". Die europäischen Sklavenhandelsnationen haben entlang der Küste Ghanas diverse Forts errichtet, die Minister Stephen Asamoh Boateng fortan verstärkt für den Tourismus nutzbar machen will. Im Visier hat er vor allem solvente Afroamerikaner, die auf der Suche nach ihren Wurzeln Afrika bereisen.

Die einheimischen Touristenführer sind angehalten, sachliche Informationen zu geben und das schreckliche Schicksal der Versklavten zu betonen. Denn vor einigen Jahren war es zu einem Eklat gekommen, als der akademische Tausendsassa Henry Louis Gates jr., Leiter des Du-Bois-Instituts für African American Studies an der Harvard-Universität, für seine Fernsehserie "Wunder der afrikanischen Welt" einen ghanaischen Touristenführer gefilmt hatte, der einer afroamerikanischen Besuchergruppe im ehemaligen Sklavenfort Elmina verkündete: "Wir Ghanaer haben euch verkauft."

Damit wollte er auf die Rolle afrikanischer Herrscher bei der Versklavung von Afrikanern anspielen, ein Thema, das in der afrikanischen (und Teilen der afroamerikanischen) Öffentlichkeit bis heute nicht recht salonfähig ist.

Voll entbrannt ist die Debatte über Sklavenhandel und Erinnerung in Afrika unter den akademischen Historikern. Die intensivste Auseinandersetzung entspann sich um die vor der Küste Senegals gelegene Insel Gorée, den ersten offiziellen Gedenkort des Sklavenhandels in Afrika.

Von der Unesco bereits 1978 zum Weltkulturerbe erklärt, wurde die Insel von zahllosen Prominenten wie Bill Clinton oder Papst Johannes Paul II. besucht, die damit an die Zwangsverschleppung von Afrikanern in die "Neue Welt" erinnerten.

Doch vor rund zehn Jahren stellten einige amerikanische und französische Historiker die durchaus gut fundierte These auf, dass Gorée zumindest quantitativ niemals eine bedeutende Rolle für den transatlantischen Sklavenhandel gespielt habe. Daraufhin wurden diese Historiker von der senegalesischen Presse mit Holocaust-Leugnern verglichen.

Erinnerung an den Sklavenhandel als wichtiger Wirtschaftszweig

Scharfe Missbilligung unter vielen Anwesenden erntete unlängst auch die israelische Historikerin Ella Keren auf einer Tagung im ghanaischen Elmina, als sie den Umgang der ghanaischen Geschichtswissenschaft mit dem Thema Sklaverei und Sklavenhandel einer kritischen Analyse unterzog. Die Historiker des Landes hätten sich lange Zeit nicht mit der Problematik auseinandergesetzt, weil sie nicht ins Geschichtsbild der Nation gepasst habe.

Es sei darum gegangen, eine gesäuberte Vision des vorkolonialen Afrikas zu präsentieren, auf das der unabhängige Staat aufbauen könne. Afrikanische Haussklaverei oder die Beteiligung einheimischer Herrscher am Handel mit Menschen hingegen hätten ein positives Bild der Vergangenheit zu sehr verdunkelt.

Erst in den neunziger Jahren, so Keren, wurde das Schweigen gebrochen, nicht zuletzt durch externe Anstöße wie das große Unesco-Projekt über die Biographien von afrikanischen Sklaven und ihr Schicksal in Nord- und Südamerika. Inzwischen sei der Staat der zentrale Impulsgeber für die Sklavereiforschung, weil die Regierung die Erinnerung an den Sklavenhandel als wichtigen Wirtschaftszweig erachte.

Und so wie die Historiker sich zunächst dem Ziel einer einheitlichen Nation unterordneten, folgen sie nun der neuen Agenda des Staates und beginnen, Bücher über Sklaverei zu schreiben, die freilich, so Keren, viele kritische Aspekte weiterhin negieren.

Das war harter Tobak. Unterstützung bekam die Historikerin ausgerechnet von einem der Doyens der afrikanischen Geschichtswissenschaft. Adiele E. Afigbo aus Nigeria rief seine afrikanischen Kollegen dazu auf, mehr zur international seit langem prosperierenden Sklavereiforschung beizutragen und dabei auch vor Tabus nicht zurückzuschrecken. Ob eine solche Aufarbeitung jedoch in das Tourismuskonzept der Regierung in Accra passt, bleibt abzuwarten.

© SZ vom 20.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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