Gedenkstunde im Bundestag:Auch an die Opfer erinnern

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Außenminister Steinmeier, Wirtschaftsminister Gabriel (beide SPD) und Kanzlerin Merkel (CDU) während der Schweigeminute im Bundestag. (Foto: Steffi Loos/Getty)

Alle reden über den Täter, der in Berlin zwölf Menschen tötete und Dutzende verletzte. Aber wer denkt an die Verletzten und die Angehörigen der Toten? Bundestagspräsident Lammert versuchte in einer Gedenkstunde im Parlament, sich dem Leid zu nähern.

Von Stefan Braun, Berlin

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat in einer Gedenkstunde vier Wochen nach dem Terroranschlag von Berlin dazu aufgerufen, sich in der Reaktion nicht nur um die Täter, ihre Geschichte und ihre Motive zu kümmern, sondern auch an die Opfer zu denken. "Es gehört zu den kaum vermeidbaren, aber schwer erträglichen Mechanismen der Wahrnehmung solcher Ereignisse durch die Medien und die Öffentlichkeit, dass dem Täter regelmäßig weit größere Aufmerksamkeit geschenkt wird als den Menschen, die er in den Tod riss", sagte Lammert im Bundestag. "Das Gesicht des Mörders vom Breitscheidplatz ist uns allen bekannt; wir sehen es über Wochen beinahe täglich." Von den Opfern wisse die Öffentlichkeit dagegen wenig, sagte der Parlamentspräsident. "Angemessen ist das natürlich nicht."

Keinen Zweifel ließ Lammert gleichwohl daran, dass man den Wunsch Trauernder auf Privatsphäre, "darauf, in ihrer Trauer nicht allein, aber in Ruhe gelassen zu werden, unbedingt zu respektieren" habe. Dies gelte ungeachtet der Bedürfnisse und Interessen auch von Medien. Dass nach solchen Ereignisse stets Rufe nach möglichst schneller Aufarbeitung und möglichst konkreten Schlussfolgerungen laut würden, sei zugleich kein Ausdruck mangelnden Mitgefühls, sagte der CDU-Politiker. Lichter und Kerzen am Tatort zeugten vielmehr von der Anteilnahme der Menschen.

Lammert lobte die Besonnenheit der Bevölkerung. "Terror zielt darauf ab, demokratische Gesellschaften zu erschüttern, zu lähmen, zu destabilisieren. Dieses Ziel haben die Terroristen in Deutschland nicht erreicht." Die Menschen zeigten, dass sie ihr Leben nicht von Drohungen und nicht von Angst diktieren lassen wollten. Gleichwohl habe die Bevölkerung zu Recht die Erwartung, dass der Staat sie schütze. "Er hat seine Handlungsfähigkeit auch und gerade unter der islamistischen Terrorgefahr zu beweisen." Gerade der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri zwinge die Politik, Deutschlands Sicherheitsarchitektur zu überdenken.

Den Streit über den Kurs in der Sicherheitspolitik kritisierte Lammert nicht, er lobte ihn als Zeichen dessen, was eine Demokratie stark mache. "Wir dürfen und müssen uns dabei auch streiten", sagte Lammert. Niemand solle das mit Schwäche verwechseln. "Es ist gerade die Stärke unserer Demokratie, dass wir darum ringen", betonte der CDU-Politiker. Autoritäre Systeme seien nachweislich nicht sicherer. "Sie erkaufen die Illusion größeren Schutzes mit der Verweigerung unverzichtbarer Freiheitsrechte."

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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