"Gebärmaschinen"-Vorwurf:Das Klischee von der heilen Familie

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Die konservative Kritik an Ursula von der Leyen beschwört eine Idylle, die es nie gegeben hat

Felix Berth

Wenn Menschen sich über ihre Familien unterhalten, entstehen fast immer lebhafte Gespräche. Über die Wut auf den Ex-Mann vielleicht, der sich so wenig um seine Töchter gekümmert hat. Über die Verbitterung darüber, dass der Sohn gerade ein Geburtstagsgeschenk zurückgeschickt hat, versehen mit einem zornigen Beipackzettel: "Nerv' mich nicht." Oder über das Bedürfnis, täglich die eigene Mama anzurufen, weil sich sonst ein schlechtes Gewissen regen würde. Die Familienbande - dieses Thema ruft mehr Gefühle wach als alle anderen.

Wenn Politiker über Familien reden, wird die Sprache seltsam starr. Bekenntnisse zur Familie klingen dann wie Formeln, und sobald die Debatte schärfer wird, fallen Begriffe wie der verächtliche Ausdruck "Gebärmaschine", mit dem der Augsburger Bischof Mixa soeben Entrüstung ausgelöst hat. Stets ist in solchen Reden die Verachtung für andere Lebensentwürfe zu spüren, gepaart mit der Überzeugung, genau zu wissen, wie eine heile Familie zu sein hat.

Natürlich kann man darauf nüchtern-vernünftig antworten: Nein, es geht der Familienministerin nicht um Zwangsbeglückung aller Eltern. Nein, in Krippen werden nicht die vier Wochen alten Babys betreut, sondern vor allem die zweijährigen Kinder. Nein, Psychologen haben keine Dauerschäden durch Krippenbesuch festgestellt, denn viel wichtiger als die Art der Betreuung ist, ob sich Eltern in ihr Baby einfühlen können. Nein, Wahlfreiheit gibt es nicht, wenn es für hundert Kleinkinder fünf Krippenplätze gibt.

Allerdings ist zweifelhaft, ob solche Argumente gehört würden - zu heftig ist die Abwehr, die ihnen derzeit von einer kleinen Gruppe aus Politik und Kirchen entgegenschlägt. Und zu persönlich sind die Erfahrungen, aus denen sich die Angst vor der Krippe speist.

Die permanent glückliche Familie gibt es nicht

Vielleicht würde es sich lohnen, mit manchen Konservativen, die eine Wiedererrichtung des DDR-Krippensystems durch Ursula von der Leyen fürchten, über ihre persönlichen Familienerfahrungen zu plaudern: Wie war denn die Kindheit vor 50, 60 Jahren, mit strengem, oft abwesendem Vater und allgemein akzeptierter Prügelstrafe? Wie lebte eine Mutter von vier Kindern in der frühen Bundesrepublik, als der Ehemann für den Wiederaufbau und die Ehefrau für den gesamten Rest zuständig war? Wie erlebte eine junge Frau die sechziger Jahre, als ihre Chancen auf Bildung so viel niedriger waren als die der jungen Männer?

Diese Fragen sind nicht inquisitorisch gemeint, sie sollen nur vor Idealisierungen warnen. Denn Familien bieten keine konstant heile Welt, heute so wenig wie in vergangenen Jahrzehnten. Kinder sind manchmal wundervoll, manchmal jedoch wirken sie wie kleine Monster. Und Eltern bemühen sich zwar stets, doch gelegentlich misslingt die mühsame Bastelei, die sich Erziehung nennt. Entsprechend zwiespältig fallen alle Erinnerungen der Erwachsenen an die eigene Kindheit aus. Und die permanent glückliche Familie ist nie in der eigenen Biographie zu entdecken.

Immerhin deutet sich an, dass sich manche Fronten auflösen. So wächst die Zufriedenheit mit der eigenen Familie von Generation zu Generation, wie Sozialwissenschaftler feststellen. Ein Wunder ist dies nicht: Wenn weniger geprügelt und mehr geredet wird, entspannt sich die Atmosphäre. Und wenn Eltern mehr Verständnis für ihre Kinder und deren stets merkwürdigen Lebenspläne haben, fällt beiden Seiten die Annäherung leichter. Mag sein, dass Nähe nicht spielend gelingt - doch wer sich zwischen einer Kindheit in den fünfziger Jahren und einer Kindheit heute entscheiden müsste, würde wohl die Gegenwart wählen.

Wenn nun mehr Kinderkrippen entstehen, wird dies zur Entspannung ein wenig beitragen. Denn der Ausbau erfüllt vielen Eltern den Wunsch nach alltäglicher Entlastung. Eine heile Familienwelt entsteht trotzdem nicht - sie bleibt ein Klischee.

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