Gaza unter Beschuss:"Krieg bis zum bitteren Ende"

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Tag drei der militärischen Eskalation im Gaza-Streifen: Israels Verteidigungsminister Barak hat mit einer Ausweitung der Offensive gedroht - und beruft sich auf den künftigen US-Präsidenten Obama.

Die israelische Luftwaffe hat auch am Montag ihre Angriffe im Gaza-Streifen fortgesetzt. Ein Sprecher der israelischen Armee sagte, die Operation "Gegossenes Blei" gehe weiter.

Ein israelischer Soldat auf einem Panzer in der Nähe der Grenze zum Gaza-Streifen (Foto: Foto: AP)

Der israelische Rundfunk meldete, in der Nacht habe die Luftwaffe etwa 40 Angriffe auf Ziele der radikal-islamischen Hamas geflogen. Zu den Zielen der Kampfflugzeuge gehörten auch das Innenministerium der in dem Küstenstreifen herrschenden radikal-islamischen Hamas sowie die Islamische Universität in Gaza-Stadt.

Die Hamas hat unterdessen eine Erklärung der Organisation Islamischer Staaten (OIC) dementiert, wonach die radikale Gruppe zu einer neuen Waffenruhe mit Israel bereit sein soll. Der Hamas-Vertreter im Libanon, Osama Hamdan, sagte, bevor man über die Zukunft spreche, müsse Israel zunächst seine Angriffe stoppen und die Blockade des Gazastreifens beenden.

Barak zitiert Obama

Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak schloss eine Verhandlungslösung mit der Hamas aus. Israel führe gegen die palästinensische Organisation einen "Krieg bis zum bitteren Ende".

Barak betonte, dass sich die am Samstag begonnenen schweren Luftangriffe nicht gegen die palästinensische Bevölkerung richteten, sondern gegen die Hamas. Er sprach von einem "gnadenlosen Krieg gegen die Hamas und ihre Verbündeten". Die Organisation solle gezwungen werden, ihre "feindlichen Aktionen" gegen die israelische Zivilbevölkerung einzustellen. Die Offensive werde fortgesetzt und eventuell sogar noch intensiviert.

Er drohte so indirekt mit einer Bodenoffensive. Der Militäreinsatz sei keine Folge von "Wut" oder "Rachegelüsten", sagte Barak. Die Operation sei akribisch geplant worden. Sie werde mit klarem Kopf und Verantwortungsgefühl ausgeführt. Er führte vor dem Parlament auch eine Äußerung des künftigen US-Präsidenten Barack Obama während dessen Besuch in der Grenzstadt Sderot an. "Obama sagte, dass er alles unternehmen würde, wenn auf sein Haus geschossen würde, während seine beiden Töchter schliefen", sagte Barak.

Obama selbst äußert sich vorerst nicht zur Eskalation des Nahost-Konflikts. Sein Berater David Axelrod erklärte, Obama beobachte die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen. Zuständig für Kommentare sei derzeit aber noch die Regierung von Präsident George W. Bush. "Präsident Bush spricht bis zum 20. Januar für die Vereinigten Staaten, und wir werden das respektieren", sagte Axelrod. Obama stehe in seinem Urlaub in Hawaii jedoch in Kontakt mit dem Präsidenten und dessen Außenministerin Condoleezza Rice. Axelrod kündigte an, Obama werde mit Israel zusammenarbeiten, um den Frieden in der Region voranzubringen.

"Keine Chance auf Verhandlungen"

Der palästinensische Chefunterhändler Ahmed Korei erklärte unterdessen die von den USA forcierten Friedensverhandlungen mit Israel für ausgesetzt. "Es gibt keine Verhandlungen, und es gibt keine Chance auf Verhandlungen, solange wir angegriffen werden", sagte Korei auf einer Pressekonferenz im Westjordanland.

Wie außerdem bekannt wurde, hat die Türkei ihre Vermittlungsbemühungen im Nahen Osten eingestellt. Unter diesen Umständen sei es nicht möglich, die Gespräche fortzusetzen, sagte der türkische Außenminister Ali Babacan. Israel führe einen Krieg gegen die Palästinenser, während es gleichzeitig mit Syrien verhandele. Diese Politik sei eine große Enttäuschung für die Türkei. Babacan forderte eine sofortige Waffenruhe. Dieser Forderung schloss sich der ägyptische Außenminister Ahmed Abul Gheit an, der gemeinsam mit seinem türkischen Kollegen bei einer Pressekonferenz auftrat.

Auf der zweiten Seite lesen Sie, bei wem Bundeskanzlerin Merkel "eindeutig und ausschließlich" die Verantwortung für die Eskalation der Gewalt sieht.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Hamas die alleinige Schuld an der Eskalation im Nahen Osten gegeben. Bei einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert am Sonntagabend seien sich Merkel und Olmert einig darin gewesen, dass die Verantwortung für die jüngste Entwicklung "eindeutig und ausschließlich" bei der Hamas liege, teilte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg mit.

"Die Bundeskanzlerin legt Wert darauf, dass bei der Beurteilung der Situation im Nahen Osten Ursache und Wirkung nicht vertauscht werden oder Ursache und Wirkung nicht in Vergessenheit geraten", betonte Steg. Der Konflikt könne nur durch einen politischen Prozess geregelt werden, an dessen Ende eine "Zwei-Staaten-Lösung" stehen müsse.

An die Hamas richtete die Bundesregierung die Aufforderung, den Beschuss von israelischen Siedlungen mit Raketen "sofort und dauerhaft" einzustellen. Zugleich äußerte sich der Vize-Regierungssprecher davon überzeugt, dass Israel alles unternehme, um bei seinen Luftangriffen auf den Gaza-Streifen zivile Opfer zu vermeiden.

Zahl der Opfer steigt

Seit Beginn des Großeinsatzes am Samstag sind nach palästinensischen Angaben mehr als 310 Menschen getötet und mehr als 1000 verletzt worden. Es handelt sich somit um die schwersten Luftangriffe auf den Gaza-Streifen seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967, Israel droht mittlerweile auch mit einem Einsatz am Boden.

Israel erklärte den Grenzbereich am Vormittag zum militärischen Sperrgebiet. Der Schritt könnte als Vorbereitung zu einer umfassenden Bodenoffensive dienen. Ein Sprecher der israelischen Armee teilte mit, der gesperrte Korridor habe eine Breite von zwei bis vier Kilometern und solle israelische Zivilisten vor palästinensischen Raketen schützen. Das Sperrgebiet sei weder für Zivilisten noch Journalisten zugänglich.

Israeli in Aschkelon getötet

Das Land will mit der Operation den ständigen Raketenbeschuss seiner Grenzorte aus dem Gaza-Streifen unterbinden. Bislang jedoch ohne Erfolg: Zwar nahm der Beschuss am Wochenende stark ab, doch am Montagmorgen starb erneut ein Mensch durch eine Rakete aus dem Gaza-Streifen. Bei dem Angriff in Aschkelon seien am Montag ein Israeli getötet und acht weitere verletzt worden, teilten Rettungskräfte mit. Der Zustand von drei der Verletzten sei ernst. Der Bürgermeister der Stadt erklärte, das Todesopfer habe sich während des Angriffs auf einer Baustelle aufgehalten.

Es war der zweite Israeli, der seit Beginn der israelischen Luftangriffe durch palästinensische Raketenangriffe ums Leben kam. Am Samstag war ein Israeli im südisraelischen Netivot getötet worden.

Hilfsgüter für Gaza

Am Montag sollen auf Anweisung des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak 100 Lastwagen mit Lebensmitteln, Medikamenten und humanitären Hilfsgütern in den Gaza-Streifen gelassen werden. Außerdem solle Treibstoff und Gas zum Kochen und Heizen über eine Pipeline in das Gebiet transportiert werden, berichteten israelische Medien.

Bei den Lieferungen handele es sich um Spenden der Türkei, Jordaniens und internationaler Organisationen. Die Lastwagen sollten die Grenzübergänge Karni, Nahal Os und Kerem Schalom passieren. Der UN-Nahost-Sondergesandte Robert Serry sagte, Israel habe am Sonntag 21 Lastwagenlieferungen mit medizinischer Ausrüstung und Getreide in das völlig verarmte Gebiet erlaubt.

Auf der dritten Seite lesen Sie, was im Gaza-Streifen in der Nacht geschah - und wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon an die Konfliktparteien appelliert.

In der Nacht herrschte jedoch weiter Gewalt. Israelische Kampfflugzeuge beschossen kurz nach Mitternacht die Islamische Universität in Gaza. Augenzeugen berichteten von sechs Angriffen. In dem Gebäude sei ein Feuer ausgebrochen, Rauch sei aufgestiegen. Die als Hochburg der Hamas geltende Universität liegt im Zentrum von Gaza-Stadt.

Universität als Waffenlager?

Ein israelischer Armeesprecher sagte, das Universitätsgelände sei zur Entwicklung von Raketen, Sprengstoff und elektronischem Gerät für militante Kämpfer benutzt worden. Es sei ein Treffpunkt für Hamas-Aktivisten und diene zudem als Waffenversteck.

Am späten Abend wurden bei einem Luftangriff auf das Flüchtlingslager Dschebalija nach palästinensischen Angaben vier Menschen getötet, darunter offenbar auch ein 14 Monate altes Baby. Beim Beschuss eines Gebäudes in Dschabalija seien das Kind, ein Mann und zwei Frauen ums Leben gekommen, sagte der Arzt Moaija Hassanain vom Gesundheitsministerium in Gaza.

In Rafah im südlichen Gaza-Streifen wurden nach palästinensischen Angaben bei einem Luftangriff ein Kleinkind und seine beiden Brüder im Teenageralter getötet. Der Angriff galt einem Kommandeur der radikal-islamischen Hamas.

In Gaza wurden neben der Universität auch ein Gelände der Hamas-Regierung und ein von ihr genutztes Gästehaus beschossen. Außerdem wurde das Gebäude neben dem Haus von Hamas-Führer Ismail Hanijah in einem Flüchtlingslager nahe Gaza bombardiert. Hanija hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs jedoch nicht in dem Haus auf.

Racheakte lassen unterdessen nicht auf sich warten: Im Westjordanland verletzte am Morgen ein Palästinenser in einer jüdischen Siedlung drei Menschen mit einem Messer. Eine israelische Armeesprecherin teilte mit, ein weiterer Siedler habe in Kiriat Sefer bei Ramallah auf den Angreifer geschossen und ihn offenbar getötet. Die drei Israelis seien dabei verletzt worden.

Bereits am Sonntag hatten in verschiedenen Ortschaften in Israel Zehntausende israelische Araber gegen die Militäroffensive im Gaza-Streifen demonstriert. Sie äußerten Wut und Trauer über die große Zahl der Toten und Verletzten und warfen Steine und Flaschen auf die Polizei. Ein Polizeisprecher sagte am Montag, mehr als 50 Demonstranten seien am Vortag nach gewaltsamen Ausschreitungen festgenommen worden. Aus Furcht vor Unruhen und möglichen Anschlägen sei die israelische Polizei weiter in erhöhter Alarmbereitschaft.

Angeblich auch verschleppter israelischer Soldat verletzt

Israelische Medien berichteten am Montag unter Berufung auf palästinensische Kreise, bei den Angriffen im Gaza-Streifen sei auch der vor zweieinhalb Jahren verschleppte israelische Soldat Gilad Schalit verletzt worden. Aus israelischen Sicherheitskreisen hieß es, man halte dies nicht für glaubwürdig. Schalit sei eine "Trumpfkarte" für Hamas und die Organisation werde alles tun, um ihn am Leben zu erhalten.

Schalit war am 25. Juni 2006 von einem Kommando unter Hamas-Leitung in den Gaza-Streifen entführt worden. Verhandlungen über seine Freilassung waren bislang erfolglos.

Bei Zusammenstößen an der Grenze des Gaza-Streifens zu Ägypten wurden am Sonntag ein ägyptischer Grenzsoldat und ein Palästinenser getötet. Sie seien bei Auseinandersetzungen zwischen ägyptischen Sicherheitskräften und der Hamas ums Leben gekommen, hieß es in Kairoer Sicherheitskreisen. Kämpfer der Hamas hätten zudem einem Ägypter ins Bein geschossen.

Die Sicherheitskräfte am Grenzübergang Rafah hätten mehrfach in die Luft gefeuert, um durch den Grenzzaun nach Ägypten geschlüpfte Palästinenser zur Umkehr zu zwingen. Augenzeugen zufolge gelang es dennoch Dutzenden Palästinensern, in das Nachbarland zu fliehen. Krankenhäuser in Gaza berichteten, zehn Personen hätten bei den Auseinandersetzungen in Rafah Schussverletzungen erlitten. Die Vorfälle werden die Beziehungen zwischen der ägyptischen Regierung und der den Gaza-Streifen kontrollierenden Hamas wohl weiter verschlechtern.

Ban Ki Moon fordert sofortige Waffenruhe

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief indes erneut zu einem sofortigen Ende der Gewalt und der Militäroperationen im Gaza-Streifen auf. In einer Mitteilung der Vereinten Nationen aus der Nacht zum Montag hieß es, Ban bedauere, dass die Gewalt weitergehe.

Er habe mit Mitgliedern des Nahost-Quartetts und dem amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sowie dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Moussa, gesprochen. Im Nahost-Quartett sind USA, EU, Russland und UN vertreten.

Der UN-Sicherheitsrat hatte nach einer von Libyen beantragten Dringlichkeitssitzung am Wochenende die Wiederherstellung der Waffenruhe gefordert. Er verabschiedete eine Erklärung, was als eine der schwächsten Formen des Eingreifens gilt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind unter den Toten im Gaza-Streifen auch neun Mitarbeiter von UN-Hilfsorganisationen.

China forderte Israel auf, seinen Militäreinsatz im Gaza-Streifen umgehend einzustellen. Vize-Regierungschef Li Keqiang erklärte am Montag, Peking sei "schockiert und ernstlich besorgt" über die derzeitigen Angriffe und rufe beide Seiten auf, die Militäroperationen sofort zu beenden. Es müssten "realistische Maßnahmen" zur Verminderung der Spannungen im Gaza-Streifen ergriffen werden. Die Anwendung militärischer Gewalt laufe den Friedensbemühungen im Nahen Osten zuwider.

Die Hamas bat den Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Scheich Chalifa bin Said al-Nahjan, um Hilfe. Nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur der Emirate WAM vom Sonntagabend rief der im syrischen Exil lebende Hamas-Politbürochef Chaled Maschaal den Präsidenten an. Scheich Chalifa habe ihm versprochen, sich auf internationaler Ebene für ein Ende der "Aggression gegen das palästinensische Volk" einzusetzen, hieß es.

© dpa/Reuters/AFP/AP/plin/bica/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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