Gaza-Streifen:Die Angst vor dem Hamas-Staat

Lesezeit: 2 min

Nach einem Abzug aus dem Gaza-Streifen will Israel die Hochburg der palästinensischen Terroristen völlig abriegeln.

Von Heiko Flottau

Nachdem sich der amerikanische Präsident George W.Bush bereit erklärt hat, einen israelischen Rückzug aus Gaza politisch zu unterstützen, tritt die Zukunft dieses schmalen, zwischen Ägypten und Israel eingeklemmten, dicht besiedelten Küstenstreifens endgültig in den Mittelpunkt der Nahostpolitik.

Etwa 7500 jüdische Siedler muss Israels Ministerpräsident Ariel Scharon dazu bewegen, ihre teilweise idyllisch am Mittelmeer gelegenen Häuser zu verlassen und neue Behausungen zu akzeptieren - vornehmlich im weiterhin besetzten Westjordanland.

Schon einmal musste Israel jüdische Siedler, teilweise mit sanfter Gewalt, zurückholen. Das war in den Jahren nach dem 1979 geschlossenen Friedensvertrag von Camp David, in dem sich Israel verpflichtet hatte, seine Siedler aus dem seinerzeit besetzten ägyptischen Sinai zurückzurufen.

Wer bekommt die Macht?

Der Hauptgrund für Scharons Plan, Gaza zu verlassen, ist demographischer Natur. 1948 zählte der Gazastreifen etwa 200.000 palästinensische Einwohner, heute sind es schon 1,3 Millionen. Diese meistens arbeitslosen, sozial entrechteten, hoch politisierten Menschen auf Dauer zu beherrschen, wird für Israel unmöglich sein. Als Kompensation für diesen territorialen Verlust beansprucht Scharon mit Hilfe der USA jetzt de facto die meisten Gebiete des Westjordanlandes.

Wer aber Gaza beherrschen wird, bleibt die große, bisher ungelöste Frage. Anders als das Westjordanland gilt Gaza als Hauptstützpunkt der Hamas und anderer gegen Israel kämpfender Gruppen wie "Islamischer Dschihad" und "Al-Aksa-Brigaden".

Dass aus Gaza ein Hamas-Staat wird, ist nicht ausgeschlossen. Palästinenser-Präsident Jassir Arafat, der in Ramallah im Westjordanland von israelischen Truppen isoliert wird, hat zwar erste, eher unbeholfene Versuche gemacht, ein Stück der Macht über Gaza an sich zu reißen. Doch auf großes Echo ist er bei Hamas noch nicht gestoßen.

Israel will verhindern, dass Gaza zu einem Zentrum von Terroristen wird. Zur israelischen Grenze hin hat die Regierung in Jerusalem Gaza schon mit einem hohen Zaun abgeriegelt. Bleibt Ägypten. Israel will verhindern, dass aus Ägypten durch Tunnel oder über Schleichwege Waffen nach Gaza geschmuggelt werden.

Seit Wochen verhandeln Ägypten und Israel darüber, wie die Grenze zwischen Ägypten und Gaza zu sichern sei. Israel fordert von Ägypten die Stationierung von Truppen. Dazu aber ist die Änderung des Friedensvertrages von Camp David notwendig. In diesem unter Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter geschlossenen Friedensvertrag ist es Kairo verboten, in grenznahe Gebiete Soldaten zu schicken. Soll, wie von Israel und den USA gefordert, Ägypten nun die Grenzsicherung zu Gaza übernehmen, müssen ägyptische Einheiten in Gebiete einrücken, zu denen ihnen derzeit der Zugang verwehrt ist.

Abgeriegelte Aussichten

Besonders problematisch wäre dies in der zwischen Ägypten und Israel geteilten Stadt Rafah. Rafah-Israel und Rafah-Ägypten sind durch einen leeren Landstrich getrennt, in dem keinerlei Truppenbewegungen erlaubt sind. Hier, sagen israelische Militärs immer wieder, würden durch unterirdische Tunnel Waffen ins israelische Rafah geschmuggelt.

Ziel der Verhandlungen zwischen Jerusalem und Kairo ist es, diesen Schmuggel zu unterbinden. Durch die Anwesenheit ägyptischer Truppen würde der Gazastreifen, eines der am dichtesten besiedelten Gebiete auf dem Globus, von der Außenwelt endgültig abgeriegelt.

© SZ vom 16.4. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: