Ganz privat:Auftritt: Dozent Joschka

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Demnächst wird der grüne Ex-Außenminister Fischer an der Universität in Princeton, USA, lehren. In Heidelberg konnten sich die Studenten bereits jetzt einen Eindruck davon verschaffen, was auf die jungen Amerikaner zukommt.

Frederic Huwendiek

Es ist schwül in der Alten Aula der Universität Heidelberg, als Joschka Fischer am Montagabend gegen 18.15 Uhr den Raum betritt. Er trägt einen grauen Anzug und einen roten Schlips. Und schwitzt. Vor dem Eingang fragt ein Student, ob er auch in seinen kurzen Hosen dem Vortrag lauschen dürfe.

Für einen Vortrag über "Israel, Europa und den Nahe Osten" kommt Joseph Martin Fischer, Grünen-Ikone und Bundesaußenminister a.D. ohne bullige Sicherheitsbeamte, ohne Mitarbeitertross, Fernsehkameras und Blitzlichtgewitter. Er läuft einfach herein und setzt sich in die erste Reihe.

So unspektakulär ist sein Auftritt, dass der Applaus nur verhalten dahinplätschert, bis auch der letzte der etwa dreihundert Gäste das Kommen des ehemaligen Außenpolitikers bemerkt hat.

Erst vor knapp einer Woche hat Joschka Fischer seine politische Karriere offiziell für beendet erklärt. Der "letzte Live Rock'n'Roller der Republik" (Fischer über Fischer) verließ das Scheinwerferlicht und kündigte an: "Ich bin jetzt wirklich weg".

Aber jetzt ist er wirklich da - in Heidelberg, einer Grünen-Hochburg. Er sitzt in der ersten Reihe. Alfred Bodenheimer von der Hochschule für Jüdische Studien, die Fischer zu diesem Vortrag geladen hat, bemerkt, Fischer könne hier vielleicht ein wenig für Princeton üben.

Der Ex-Sponti, der ab dem Herbstsemester "Lecturer of Public and Internationale Affairs" an dieser US-Eliteuni wird, scherzt zurück: "Das mit dem Üben ist so eine Sache."

Fiepende Mikrofone, klingelnde Handys

Dieser Auftritt Fischers als Redner in den Räumen einer altehrwürdigen Alma Mater vor größtenteils studentischem Publikum gerät wirklich zu einer Übungsstunde für den "senior fellow" in spe. Die Bedingungen sind realistisch: Die Aula ist gerammelt voll, es wird gehüstelt und getuschelt , die alten Bänke knarzen. Weitere Zuhörer kommen, andere gehen.

Die Mikrofonanlage fiept. Handys klingeln. Von draußen dringt Gelächter herein. Viele der anwesenden Studierenden können sich nur mit Mühe auf den Sitzen halten, dösen vor sich hin, tippen Nachrichten in ihr Handy: Die Aufmerksamkeitspanne, die einem Ex-Außenminister zuteil wird, ist nur unbedeutend länger, als die, die man einem gewöhnlichen Dozenten schenkt.

Tatsächlich erinnert Fischers historischer Abriss über die Geschichte des Israel-Konflikts in seiner Behäbigkeit und Blutleere an den Vortrag eines gelangweilten Professors.

Nur ab und an, wenn Fischer kleine Anekdoten aus seiner Zeit als Außenminister einfließen lässt, von seinen Gesprächen mit Scharon, Arafat und Netanjahu berichtet, wird den Zuhörern bewusst: Hier spricht eine bedeutende Persönlichkeit der jüngeren deutschen Geschichte - und kein Professor, der dem ehemals beliebtesten deutschen Politiker nur verblüffend ähnlich sieht.

Da ist er wieder, der Vize-Kanzler

Als er auf das iranische Atomprogramm zu sprechen kommt, auf Ahmadinedschad, auf die Aufnahme der Türkei in die EU, wird Fischer lauter, energischer, appellativer. Seine Gesten werden ausladend, er schneidet mit ihnen die dicke Luft, legt seine Hände madonnenhaft aneinander. Da ist er wieder ganz der wortgewaltige Redner, der Außenminister und Vize-Kanzler.

Er leitet seine Sätze mit "Wir Deutschen" und "Wir Europäer" ein, spricht von "unserer Verpflichtung" und "unserer Sicherheit", kritisiert die Verfehlungen der amerikanischen Außenpolitik. Er blickt nicht mehr auf sein Manuskript, redet nun völlig frei.

"Mit aller Nachdrücklichkeit" fordert er sein Publikum auf, dieses oder jenes zu tun, verweist auf seine "sieben Jahre Erfahrung als Außenminister". In diesen Momenten wirkt Fischer nicht wie jemand, der nur noch Gastprofessor und Privatmann sein will, sondern weiterhin ein wenig grüner Vordenker und politischer Entscheider spielen möchte. Einer, der sich an seine neue Rolle als Welt-Erklärer noch nicht gewöhnt hat und weiterhin Welt-Gestalter bleiben mag.

In der anschließenden Diskussion sieht sich Fischer mit Aussagen konfrontiert, die an seinen politischen Grundüberzeugungen rütteln. Ein junger Mann mit blauem Hemd stellt mit leiser Stimme das Existenzrecht Israels in Frage, vergleicht die jüdischen Siedler mit Adolf Eichmann. "Man versteht nichts!", ruft einer aus den letzten Reihen. "Ist vielleicht besser so!", entgegnet Fischer und wehrt sich energisch gegen die Positionen des Vorredners.

Ein Palästinenser regt sich auf über den "israelischen Staatsterrorismus", beklagt die "vielen unschuldigen Opfer" auf palästinensischer Seite. Auch da findet der brillante Rhetoriker Fischer eine passende Antwort - eine überzeugende Antwort offenbar. Am Ende nickt der Palästinenser.

In Fischers Stimme schwingt eine gewisse Erleichterung mit darüber, dass er über die komplizierte Weltlage dozieren und diskutieren kann - aber nicht mehr zu ihrer Lösung beitragen muss. Das ist jetzt Aufgabe der "Playback-Sänger" (Zitat Fischer), der Merkels und Steinmeiers.

Eine letzte Geste

Dann verlässt der Fast-Privatmann Joschka Fischer, sein Jackett lässig über die Schulter geworfen, das Gebäude über den Haupteingang - doch nicht ohne eine letzte Geste: Er schüttelt dem Palästinenser, der in der Diskussion so emotional argumentiert hat, die Hand zum Abschied.

Und vielleicht ist das Gefühl, das Fischer dabei hat, besser als bei manchem Handschlag, zu dem der Politiker und Außenminister gezwungen war. Denn eins ist sicher - in Zukunft hat Joschka Fischer es mit Zuhörern zu tun, denen es nicht darum geht, eigene Interessen durchzusetzen, sondern von den Erfahrungen eines Ex-Politikers zu profitieren.

Das ist die neue Realität im Leben des Joseph Fischer.

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