Frauenforum:Alarmierende Statistiken

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Frauen aus 30 Nationen diskutieren mit Angela Merkel über Gleichberechtigung - viel Fortschritt sieht sie nicht.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Überraschungen aus dem Berliner Bundeskanzleramt sind in diesen Tagen keine Seltenheit. Und doch fiel am Mittwochnachmittag die Offenheit auf, mit der die Kanzlerin die auch in Deutschland noch immer vorherrschende ungleiche Machtverteilung zwischen Männern und Frauen kritisierte. "Deutschland ist hier nicht besonders fortgeschritten", sagte Merkel bei der Eröffnung eines international besetzten Frauenforums im Kanzleramt, zu dem sie als amtierende Präsidentin der G-7-Runde eingeladen hatte. Und wie es so ihre Art ist, schob die Kanzlerin gleich ein Beispiel hinterher. "Wir haben hier keinen einzigen weiblichen Chef eines großen Dax-Konzerns." Weswegen sie sich sehr freue, Vertreter aus Ländern am Konferenztisch zu haben, "wo das weiter fortgeschritten ist".

Der Einladung der Kanzlerin in die deutsche Regierungszentrale waren mehr als 50 Frauen aus dreißig Nationen gefolgt, unter ihnen amtierende oder ehemalige Regierungschefinnen wie Erna Solberg (Norwegen) oder Julia Gillard (Australien), die jordanische Königin Rania, die liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf oder Helen Clark, Chefin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen.

Über das Ziel der großen Damen-Runde im Kanzleramt ließ Merkel keinen Zweifel. Sie sei "überzeugt, dass Netzwerke wichtig sind", dazu wolle sie ermutigen und deshalb säßen "die Damen und die wenigen Herren" jetzt hier beieinander. Außerdem, wandte sie sich an die Gäste aus den Schwellen- und Entwicklungsländern, sei es bei der Gleichberechtigung "keineswegs so, dass die hoch industrialisierten Länder besonders weit gekommen sind". Jede könne gern mit der neben ihr sitzenden Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig reden, die darüber erzählen könne, wie schwierig es in Deutschland gewesen sei, eine Frauenquote in den Aufsichtsräten von Konzernen einzuführen - obwohl diese zuvor eine Selbstverpflichtung abgegeben hätten. Und, nicht zu vergessen, sei es auch im Alltag "nicht so, dass wir hier seit Jahrhunderten gleichberechtigt sind". Noch in den 1970er Jahren habe es in der Bundesrepublik Gesetze gegeben, wonach die Ehefrau den Ehemann um Erlaubnis zum Arbeiten fragen musste.

Die Damen in der Runde quittierten die Worte der Kanzlerin, die selbst schon mit dem inoffiziellen Titel der mächtigsten Frau der Welt bedacht worden war, und die offenbar Mut machen wollte, mit freundlichem Nicken, das gelegentlich länger anhielt. Etwa, als die Kanzlerin auf die Rolle der Frauen im Arbeitsleben zu sprechen kam. "Frauen können das mindestens genauso gut wie Männer und wenigstens so präzise wie Männer." Gerade in Entwicklungsländern spielten Frauen eine entscheidende Rolle, wenn es darum gehe, Projekte mit Mikrokrediten zu finanzieren. "Geld ist bei Frauen in guten Händen", sie sorgten dafür, dass es auch zweckbestimmt ausgegeben werde.

Folgte der Einladung nach Berlin: Helen Clark, die Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms. (Foto: dpa)

Die deutsche G-7-Präsidentschaft, so Merkel, unterstütze den Ende 2013 gefassten Beschluss der G-20-Staaten, bis 2030 ein Drittel mehr Frauen in Ausbildung und Jobs zu bekommen. Frauen sollen in die Lage versetzt werden, wirtschaftlich selbständig und selbstbestimmt zu leben. Die Statistiken seien "alarmierend", sagte Merkel. Frauen hätten es besonders schwer, an Kredite zu kommen. Andererseits gebe es Erhebungen, wonach unternehmerisch selbständige Frauen ihr Einkommen in die Gesundheit, die Bildung und die Ernährung ihrer Familien investierten, was die Armut deutlich reduziere.

Am Mittwochnachmittag debattierten die Damen über Gesundheit und Vorsorge. Frauen spielen vor allem in Entwicklungsländern eine entscheidende Rolle in der häuslichen Sauberkeit sowie öffentlich als Krankenschwestern und Gesundheitshelferinnen. Im Entwurf der Abschlusserklärung des Treffens findet sich der Hinweis, dass Frauen global gesehen sowohl als Wählerinnen als auch in politischen Spitzenjobs weiter unterrepräsentiert sind. Nur 22 Prozent aller Parlamentarier weltweit sind weiblich, es gibt lediglich zehn Präsidentinnen und 14 Regierungschefinnen.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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