Franz Müntefering:Der Vizekanzler - groß in Form

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Der SPD-Chef, bisher immer bescheiden, trumpft plötzlich auf, weil er seine neue Rolle als Superstar der SPD genießt.

Christoph Schwennicke und Nina Bovensiepen

Es dauert 13 Minuten, bis SPD-Chef Franz Müntefering auf das zu sprechen kommt, was Berlin seit Tagen in Wallung hält. Erst redete er darüber, dass es einige Zeit gedauert habe, bis manche in den eigenen Reihen den Wahlkampf abgestreift und zur Dialogfähigkeit mit der Union gefunden hätten. Jetzt aber könne das "Vertrauen wachsen für konstruktive Verhandlungen". Danach wird der SPD-Vormann ein paar Minuten lang nicht müde, immer wieder Begriffe wie "Arbeitnehmerrechte sichern", "soziale Sicherheit" oder "Sicherheit für die Menschen" hervorzuheben. Das sei etwas, was "die Menschen suchen und brauchen".

Den Führungsanspruch für die SPD meldet der künftige Vizekanzler auch gleich an, indem er ein umstrittenes Wort von CDU-Chefin Angela Merkel im Zusammenhang mit dem Bundesrat aufgreift: Er selbst habe einmal von der Notwendigkeit gesprochen, das strukturelle Patt in Deutschland aufzuheben. Das stehe auf der Tagesordnung. Die Ankündigung, es werde "voll durchregiert", finde er gut - "wenn wir dabei sind". Der SPD-Vorsitzende ist großartig in Form an diesem Nachmittag, "großes Münte-Kino" nennt ein Beobachter den selbstbewussten und schlagfertigen Auftritt des neuen SPD-Stars. Aber natürlich findet dieser auch Zeit und Raum, dem scheidenden Bundeskanzler Gerhard Schröder zu danken, zu dessen Vermächtnis der Mut zur Agenda 2010 sowie die "selbstbewusste mittlere Friedensmacht" Deutschland zähle.

Auf das Personal kommt Müntefering nach besagten 13 Minuten, und zwar zunächst mit einer Art Entschuldigung an seine Frau. "Ich habe am letzten Wochenende zu Hause noch was anderes erzählt", sagt Müntefering, als er das Personaltableau der SPD aufzählt - mit sich selbst als Vizekanzler sowie Arbeits- und Sozialminister. Die Entscheidung, den Fraktionsvorsitz zugunsten eines Ministerpostens aufzugeben, sagt er, sei ihm leichter gefallen, als klar wurde, dass Peter Struck Fraktionsvorsitzender würde. Diese Ankündigung habe auch die Fraktion mit viel Beifall bedacht.

Bis zuletzt hatte sich Müntefering alle Optionen offen gehalten, um sich die Fäden nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Wenn er den Eindruck hatte, dass sich jemand zu sehr in den Vordergrund drängelte, hat er ihn in die Schranken gewiesen. Zugleich hat Müntefering die Größe aufgebracht, partielle persönliche Vorbehalte gegen das eine oder andere Gesicht im neuen Personaltableau hintanzustellen und eine Mischung aus Jung und Alt, aus bewährt und innovativ, herzustellen. "Der Mix stimmt", sagt einer aus der Parteiführung zufrieden und schaut mit gespieltem Mitleid auf die Union, bei der sich erst sehr allmählich die Nebel lichten.

Böse Vorahnungen bei Reform-Eifrigen

Neben den Ministern und seiner eigenen Person als Vizekanzler hat der Parteichef auch den Rest des Feldes so weit bestellt, wie man es bestellen konnte. Dass er unter Umständen den Fraktionsvorsitz aufgeben könnte, hatte er frühzeitig signalisiert. Peter Struck hält nun den Kasten in der Fraktion sauber.

Diese Rolle hatte er schon einmal inne, bis er Verteidigungsminister wurde und damit (zu seiner eigenen Überraschung) viel Freude und Fortune erfuhr. Zugleich ist mit dem neuen Parlamentarischen Geschäftsführer Olaf Scholz schon ein Mann platziert, der hinter Struck aufgebaut wird. Scholz hat als Generalsekretär der SPD nicht besonders reüssiert, war dort aber schlicht nicht ideal eingesetzt. Eine Empfehlung für seine Person gab er zuletzt als SPD-Chefverhandler im Visa-Untersuchungsausschuss.

Dass Müntefering nach Wolfgang Clement nun in die Rolle des Hartz-IV-Ministers schlüpft, freut Gewerkschaften und die SPD-Linke. Böse Vorahnungen löst es dagegen bei den Wirtschaftsverbänden und den Reform-Eifrigen in allen Parteien aus. Die Lobbyisten der Verbände erinnern sich noch mit Grausen an die von Müntefering im Sommer angezettelte "Heuschrecken-Debatte". Es gehe um die Frage, ob die Menschen nur noch "Objekte in der Trommel des großen Wirtschaftsspiels" seien oder ob die Wirtschaft für die Menschen da sei, wetterte der gelernte Industriekaufmann Müntefering noch vor ein paar Wochen in Richtung Union, FDP und Arbeitgeber.

Zwar stand der SPD-Chef an der Seite von Gerhard Schröder auch für die Politik der Agenda 2010 ein. Als neuer Arbeitsminister dürfte er sich aber kaum mit Einschnitten bei Rentnern oder Arbeitslosen unbeliebt machen wollen. Bei Hartz IV, das hatte die SPD schon im Wahlkampf klar gemacht, sollen mögliche Korrekturen höchstens eines bewirken: Sie sollen Betroffene besser stellen.

Der Gelackmeierte

Die Kritiker der Aufspaltung des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums in zwei Häuser, die es in allen Parteien gibt, fürchten nun eine unglückliche Allianz: auf der einen Seite Wirtschaftsminister Edmund Stoiber, der unter dem Einfluss der Verbände viel Geld für Industriepolitik und Technologieförderung ausgibt; auf der anderen Seite Arbeitsminister Müntefering, der unter dem Einfluss der Gewerkschaften dafür sorgt, dass beim Sozialen nicht gespart wird.

Der Gelackmeierte in dieser Konstellation wäre dann der neue Finanzminister Peer Steinbrück. Er hätte die undankbare Aufgabe, Müntefering und Stoiber, die sich bei der Zusammenarbeit in der Föderalismuskommission schätzen gelernt haben, beim Geldausgeben zu bremsen und stattdessen zum Sparen zu treiben.

© SZ vom 14.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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