Frankreichs neuer Präsident:Die Last des Triumphs

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Nicolas Sarkozy verspricht eine neue Republik und vergisst geschickterweise nicht, sich vor seiner Gegnerin zu verbeugen. Auf Ségolène Royal hingegen kommt viel Arbeit zu: Viele sehen ihre Partei vor dem Zusammenbruch.

Gerd Kröncke

Der Tag hatte nicht schlecht begonnen. Morgens um sieben las Nicolas Sarkozy eine SMS von einem seiner Wahlkampfmanager. Die ersten Ergebnisse in den Übersee-Départements seien hoffnungsvoll.

Nicolas Sarkozy (Foto: Foto: Reuters)

In den französischen Überseegebieten und bei den Auslandsfranzosen in Amerika hatte man schon tags zuvor gewählt. Der Trend setzte sich fort und Nicolas Sarkozy wusste bereits am frühen Nachmittag, dass er der neue Präsident sein würde.

53,1 Prozent lautete später das Ergebnis, an dem sich nicht viel heruminterpretieren lässt. Jacques Chirac hatte bei seiner ersten Wahl nicht so gut abgeschnitten.

Vormittags war Sarkozy wählen gegangen, in Neuilly, da, wo er seine erste Karriere als Bürgermeister begonnen hatte. In der feinen Pariser Vorstadt an der Seine sollte Nicolas Sarkozy an diesem Sonntag 86,6 Prozent erreichen. Aber wo war Cécilia?

Die Frau des künftigen Präsidenten, die sich während des gesamten Wahlkampfs kaum hatte blicken lassen, war den ganzen Tag über abwesend. Ins Wahllokal, einen Kindergarten, hatte sich Sarkozy von seinen beiden erwachsenen Töchtern begleiten lassen. Erst später am Abend hat ihn Cécilia in einem Restaurant erwartet. Dazwischen lag der Tag, der das Leben des Nicolas Sarkozy veränderte und auch das der Republik.

Als das Ausmaß seines Sieges deutlich wurde, als Nicolas Sarkozy das erste Mal vor seine Anhänger tritt, ist ihm anzusehen, dass er jetzt seinen Triumph nicht ausspielen will. In einer Mischung von Ernsthaftigkeit und Rührung tritt der harte Mann auf die Bühne des prächtigen Konzertsaals Gaveau im Achten Pariser Arrondissement nicht weit vom Elysée-Palast. Sie feiern ihn frenetisch, natürlich sind sie außer sich vor Freude, aber der künftige Präsident trägt schon die Last, und man sieht es ihm an. Einer seiner ersten Sätze gilt seiner geschlagenen Gegnerin, und aufkeimende Buhs wischt er weg.

Strahlende Verliererin

Er bekundet Ségolène Royal seinen Respekt und bezieht darin auch ihre Wähler mit ein. Er rezitiert noch einmal all die Kernsätze, die ihn zum Sieg geführt haben: Er werde den alten Werten wieder Geltung verschaffen, der Arbeit, der Autorität, der Moral, dem Respekt. "Ich werde der Nation und der nationalen Identität ihre Ehre zurück geben." Die Menschen antworten mit der Marseillaise.

Einmal sah man an diesem Tage seine alte Mutter, eine kleine, würdige Frau. Sie ging in die Wahlkampfzentrale, auf sie haben sich nie die Scheinwerfer gerichtet. Sie gehört zu den Menschen, die ihm, neben seiner Frau Cécilia, Kraft geben. Sarkozy ist ein Familienmensch. Fast täglich telefoniert er mit seiner Mutter. Als es kriselte in seiner Ehe, muss sie es gewesen sein, die ihm half, die schlechten Tage durchzustehen.

In seiner Rede lässt er wieder die Heilsbotschaft anklingen, wonach niemand am Wegesrand zurückgelassen werde. Wer das Gefühl habe, dass es nicht mehr weiter geht im Leben, gerade für den wolle er da sein. Sarkozys Stärke ist das nahezu metaphysische Versprechen einerseits und die Besetzung von konkreten Themen andererseits - die Politik wird zur Heilsbotschaft. Auch noch nach dem Wahlsieg wurde manches gesagt, das sich nüchterner Analyse entzieht.

Das gilt genauso für die Verliererin. Wann hätte es je eine so strahlende Niederlage gegeben. Noch in ihrer dunklen Stunde versucht Ségolène Royal so viel Zuversicht vorzuführen, als habe mit dem Scheitern ihre Zukunft erst begonnen. Tausende haben sich an jenem Abend in der Rue Solférino vor der Parteizentrale der Sozialistischen Partei eingefunden.

Sie schwenken die Banderolen mit ihrem Namen und lassen ihre Ségolène im Stakkato hochleben. Es ist nicht alles zu verstehen, was sie ihnen vom Balkon des alten Parteihauses zuruft. Als sie nicht durchdringt, streckt sie ihr eigenes machtloses Mikrophon der Menge entgegen. "Mer-ci-Sé-go-lène" schallt es herauf. Diese Geste soll zeigen: Was das Volk zu sagen hat, ist wichtig, "zusammen werden wir es schaffen".

Zuvor hatte sie im Maison de l'Amérique Latine ihre Niederlage wie eine frohe Botschaft verkündet. "Aus der Tiefe meines Herzens" dankte sie ihren 17 Millionen Wählern: "Ihnen sage ich, dass etwas in Bewegung gekommen ist, dass nicht mehr aufzuhalten ist."

Welch ein Unterschied zu dem verzweifelten Lionel Jospin, der bei seinem vorzeitigen Ausscheiden vor fünf Jahren unter den Schmerzensrufen des Parteivolks seinen sofortigen Abschied aus der Politik verkündet hatte. Sie suggeriert sich und den überwiegend jungen Menschen, die an sie glauben, dass mit ihr alles weiter geht. Es gab im Wahlkampf Momente, die sie nun wieder aufleben lässt. Manchmal erinnert sie an die Heldin im Musical "Evita".

Es sind die Routiniers, die andere Töne anschlagen. Sie wissen auch, dass es Brauch ist, dem Wahlsieger Glück und Segen zu wünschen. Ségolène Royal beschränkt sich auf den minimalistischen Satz: "Ich wünsche dem künftigen Präsidenten, dass er seine Funktion im Dienste aller Franzosen ausführt."

Sie gönnt sich nicht den Hauch von Bitterkeit, aber die Rechnung wird schon präsentiert. Dominique Strauss-Kahn zum Beispiel, der im Falle ihres Sieges vielleicht Premier geworden wäre, schaut melancholisch-verzweifelt auf die verklärte Verliererin und resümiert: "Zum dritten Mal hintereinander haben wir nun die Präsidentschaftswahl verloren."

Singen und Schwitzen

Man habe sich willig täuschen lassen von all jenen Zwischenergebnissen, wie den gewonnenen Europa- oder den erfolgreichen Kommunalwahlen. Er jedenfalls, Strauss-Kahn, stehe zur Verfügung, um eine sozialdemokratische Erneuerung einzuleiten, wie sie die Partei braucht. Bei den Verlierern sehen die Elefanten, die von der alte Garde, die Stunde der Abrechnung näher rücken. "Die Linke, das bedeutet nicht 'Ich' zu sagen, die Linke, das heißt 'Wir'", stichelt Laurent Fabius gegen die Genossin. Sie hatte ihn zum Mann von Gestern degradiert, nun sieht er wieder seine Zukunft.

Sie sucht den Machtkampf. Ihr Vertrauter und Zuarbeiter Julien Dray nennt sie "eine große Führerin", keiner der Linken habe je so viele Stimmen auf sich vereint. Damit ist für ihn und für sie die Führungsfrage schon beantwortet. In ein paar Tagen will sie ein großes Dankes-Meeting in der Banlieue veranstalten, wahrscheinlich in La Courneuve.

Die Begegnung mit der Menge im Stadion Charléty am 1. Mai sei "übermenschlich, um nicht zu sagen übernatürlich gewesen", sagt sie, daran will sie anknüpfen. Die anderen aber sehen schon die Partei in Gefahr. Sie könnte zerbrechen. "Die rote Fahne ist am Boden", sagt Fabius.

Die Trikolore hingegen, die nationale Fahne, sie flattert Sarkozy voran. Als er seine erste Rede gehalten hat und bevor er sich aufmacht zur Place de la Concorde, gönnt sich der neue Präsident fast zwei Stunden mit vielen Freunden in einem Luxusrestaurant - Fouquet's - an den Champs Elysées. Ein paar Schauspieler sind da, der Trainer der Rugby-Nationalmannschaft, Künstler, der eine oder andere Minister und endlich auch Cécilia, seine Frau.

"Vive la France, vive Nicolas Sarkozy"

Sie ist, wie man später sehen wird, entspannt. Es hatte eine Zeit gegeben, da suchte sie Aufmerksamkeit, den Status des Berühmtseins auch für sich selber. Doch seit langem schon, seit sie nach der großen Krise der beiden an seine Seite zurückgekehrt ist, hält sie sich zurück. Er sagt gelegentlich, dass ihm noch immer ein Schauer über den Rücken läuft, wenn er ihren Namen nur denkt.

Im Fouquet's hat er einen Moment Ruhe. Wahrscheinlich hat er erst mal, wie er es immer tut, wenn er ins Schwitzen gerät, das Hemd gewechselt. Wenn er zwei Stunden hat reden müssen, wechselt er den Anzug. Der Erste, der das Fouquet's verlässt, ist der alternde Rockstar Johnny Halliday, der wegen des großen Tages aus seinem Schweizer Steuerparadies angereist ist. Neben seiner jungen Frau, die ihn besorgt anschaut, wirkt er derangiert. Er betont, man habe nicht soupiert, nur angeregt diskutiert.

Johnny Hallyday gibt eine Eloge auf den neuen Präsidenten zum Besten und auf das große Vaterland Frankreich. Was nicht sehr echt klingt, weil sich der Sänger sich seit einiger Zeit seiner belgischen Wurzeln besonnen hat und die belgische Staatsbürgerschaft anstrebt. Das lohnt auch wegen der Steuern. Er sagt kryptisch: "Morgen ist ein anderer Tag." Verabschiedet sich mit einem gerührten "Vive la France, vive Nicolas Sarkozy!"

Zur selben Zeit, etwas weiter östlich, an der Place de la Bastille, wo die Linke gefeiert hätte, hätte es etwas zu feiern gegeben, schlugen sich derweil Jugendliche mit der Polizei herum. Im Nordosten der Stadt, in den Vierteln fern der schönen Boulevards, sah es ähnlich aus.

Ein paar Autos brannten, ein paar Müllcontainer wurden auf die Straßen gerollt. In den Vorstädten grummelte es. In La Courneuve, wo Ségolène Royal erwägt, ihre Dankeskundgebung abzuhalten, war auch etwas Rambazamba, nichts Ernstes. Nur ein Auto ging in Flammen auf. Der Ort hat symbolische Bedeutung, weil Sarkozy dort als Innenminister einmal mit starker Polizeibegleitung aufgetaucht war. Im großen Ganzen war es ruhig geblieben, nur aus einigen Provinzstädten wurden mittlere Krawalle gemeldet.

Ségolène Royal selbst hatte kurz vor der Wahl fast gedroht, dass es bei einem Wahlsieg für Sarkozy zu Gewalt kommen könnte. "Jeder weiß es", sagte sie, "aber keiner erwähnt es, weil es eine Art Tabu ist." Das war sogar ihren eigenen Leuten unangenehm. Einer der größten Sarkozy-Kritiker, Royals Wahlkampfhelfer Arnaud Montebourg, erinnerte am Wahlabend an das Selbstverständliche. Bei aller Enttäuschung, gegen demokratisch zustande gekommene Wahlergebnisse kann man nicht protestieren.

Auf der Place de la Concorde, mindestens ebenso geschichtsträchtig wie die Place de la Bastille, pflegen die Rechten zu feiern, obwohl doch hier während der Revolution die Guillotine stand und Hunderte ihren Kopf verloren, bis hin zu Louis XVI. und Marie Antoinette. Für den künftigen Herrscher der Franzosen, Nicolas Sarkozy begleitet von Cécilia, ist der Platz die wichtigste Station des Abends.

Hier steht er noch einmal einer Menge gegenüber, die ihn feiert, fast bis zur Peinlichkeit. Eine Künstlerin singt "Oh happy Day", und das "Jesus" im Text ist durch "Nicolas" ersetzt. Neben ihm Mireille Mathieu, noch kleiner als der neue Präsident, stimmt die Marseillaise an. Es sind 30000, die einfallen. Am Ende jubeln sie zu früh, vergessen, dass die letzten Zeilen wiederholt werden. Der Spatz von Avignon trällert aufs Neue.

Ein Zeichen des Respekts

Nicolas Sarkozy genießt den Augenblick. Lange anhalten wird das nicht. Für ein paar Tage, so hat sich der künftige Präsident vorgenommen, will er sich der öffentlichen Wahrnehmung entziehen. Sich vielleicht in ein Kloster flüchten, von Korsika ist die Rede, wo seine Ergebnisse besonders beeindruckend waren. Angeblich wissen selbst seine Freunde nicht, wohin die Reise geht. Und die Frage ist, ob er es überhaupt länger als drei Tage aushält, nicht aktiv zu sein. Schon ist von wichtigen Treffen Mitte der Woche die Rede. Er hat immer gearbeitet, immer gekämpft.

Der Mann ist, jenseits aller Ideologie, ein Beispiel dafür, wie weit es einer bringen kann, der ohne die Starthilfe eines Clans oder einer Familie in die Politik geht. Der jüdische Großvater aus Saloniki mütterlicherseits, der ungarische Vater, der ins Exil nach Paris kam, nachdem er sich auf der Flucht vor den Kommunisten schon von der Fremdenlegion hatte anwerben lassen - das sind nicht die Reverenzen, die den Weg in die französische Führungsschicht weisen. Und er hat persönlichen Mut. Im Wahlkampf, der auch im Internet ausgetragen wurde, versuchten Sarkozys Helfer oft vergeblich gegen die Übermacht der Anti-Sarko-Sites anzutreten.

Mit einer Reportage, die sie ins Netz gestellt haben, konnten sie eine Menge aufholen. "Human Bomb" hieß der Vier-Minuten-Film, der Sarkozys Eingreifen bei einer Geiselnahme in einem Kindergarten zeigt. Als Bürgermeister von Neuilly war er allein und unbewaffnet zum Tatort gegangen, hatte mit dem Geiselnehmer verhandelt. "Mir lief der Schweiß den Rücken runter. Ich hatte Angst, Angst, etwas falsch zu machen." Er konnte das Drama unblutig beenden. Der Film im Internet wurde eine halbe Million mal angeklickt.

An diesem Dienstag, dem 8.Mai, wenn die Republik ihre Truppen über die Champs Elysées marschieren lässt, um an den Waffenstillstand des Zweiten Weltkriegs zu erinnern, wird Jacques Chirac noch mal im Mittelpunkt stehen. Für Sarkozy ist es ein Zeichen des Respekts, dass er nicht dabei sein wird.

"Ich werde nicht an Ihrer Seite sein", hat er seinen Vorgänger vor geraumer Zeit wissen lassen, als die beiden einen möglichen Wahlsieg erörterten. "Es gibt nur einen Präsidenten."

© SZ vom 8.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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