Frankreich:Der letzte Bonaparte

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Er ist groß und trägt Joggingschuhe: Es ist kaum zu glauben, dass Charles Napoléon ein Nachfahre des französischen Kaisers ist. Doch nun drängt es auch ihn in die Politik.

Werner Bloch

Ein Hüne von einem Mann, dichtes weißes Haar, karamelfarbene Augen - nein, seinem berühmten Vorfahren sieht Charles Napoléon überhaupt nicht ähnlich. Und von Kriegen und Eroberungsfeldzügen hält er schon gar nichts: "Für mich sind diese Schlachten eine Metzgerei."

Charles Napoleon posiert vor einem Gemälde von Jacques-Louis David im Louvre. (Foto: Foto: AP)

Er habe mit den Menschen Mitleid, die da gestorben sind, bewundert aber das friedvolle Aussehen der Schlachtfelder, von Jena bis Waterloo. "Alles sehr ruhige, friedliche Landschaften", meint er mit Blick auf das Schlachtfeld von Jena-Cospeda. "Ich habe Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass hier Menschen einander zu Zehntausenden umgebracht haben."

Charles Napoléon ist Napoleons Ur-Ur-Neffe und der letzte Exponent des Bonaparte-Clans. Zum Interview in einem Jenaer Luxushotel eilt Charles Napoléon in Joggingschuhen. Gerade ist er den hügeligen Schlachtort entlanggetrabt, fünfzehn Kilometer lang. Dass es jetzt Menschen gibt, die die alten Gefechte in bunten Kostümen nachstellen und manche sogar aus Amerika anreisen, um der Schlacht von Jena und Auerstedt, die heute vor 200 Jahren tobte, eine "gefühlte Dimension" zu geben, wundert ihn sehr: "Offen gesagt, mich begeistert das überhaupt nicht."

Eigentlich hat der Sechsundfünfzigjährige, der viel jünger wirkt, Anspruch auf einen hohen Adelstitel, "Le prince Napoléon." Doch der Mann mit der blauen Windjacke und den Jeans gibt sich gern bodenständig, auf seiner Visitenkarte steht schlicht: Charles Napoléon. Sonst nichts. Nicht einmal sein Doktortitel der Wirtschaftswissenschaften, den er sich an der Sorbonne erworben hat. "Napoleon", erklärt er, "hat alle Charakteristika des modernen Helden, vom Aufstieg aus kleinen Verhältnissen zum Tod auf St. Helena, im Nichts. Jeden Tag wird irgendwo auf der Welt ein Buch von ihm veröffentlich."

Das verkündet er nicht patriotisch, sondern wirkt dabei fast ein wenig müde, so als fiele ihm der lange Schatten des kleinen Korsen zur Last. "Oft blicken die Leute durch mich hindurch und suchen hinter meinem Gesicht einen anderen." Doch dann schaut Charles Napoléon seinem Gesprächspartner plötzlich fest in die Augen: "Ich sage immer: Er ist er und ich bin ich. Und das ist besser für uns beide."

Zehn Jahre lang hat Charles Napoléon für internationale Organisationen gearbeitet, für die Weltbank in New York, für die obersten Finanzbehörden als Berater der Regierungen von Nigeria und der Elfenbeinküste. 1886 mussten die Bonapartes Frankreich verlassen, der Großvater ging nach Brüssel ins Exil und heiratete die Tochter des belgischen Königs. Auch der Vater war verbannt, fand aber den Weg nach Frankreich zurück durch einen Trick: während des Zweiten Weltkrieges ging er zur Fremdenlegion und nahm dort eine neue Identität an.

Im nächsten Jahr kandidiert Charles, Jahrgang 1950, für die französische Nationalversammlung - auf der Liste der liberalen UDF, im Wahlkreis Seine et Marne, im noblen Fontainebleau. Er sei in seinem Herzen Sozialdemokrat, offenbart er, wusste eine Zeitlang nicht, ob er sich bei den Sozialisten engagieren sollte oder bei den Liberalen - er sieht sich vor allem als überzeugten Europäer.

Über seine Familie hat Charles Napoléon Bücher und Zeitungsartikel geschrieben. Darin tauchen die Bonapartes als "rebellische Geister" auf, die sich seit dem 18. Jahrhundert dem Fortschritt verschrieben haben. Klar, dass sich auch Charles Napoléon in diese Galerie unkonventioneller Querdenker einordnet, aber sehr differenziert: "Ich stehe Bonaparte näher als Napoleon. Bonaparte ist für mich der General der Revolution, der Revolutionär und Reformer, der die Institutionen des modernen Frankreich aufstellt." Den berühmten Vorfahren sieht er gleichzeitig als Diktator und Befreier: Die Feldzüge hätten die Errungenschaften der Französischen Revolution verbreitet und Institutionen geschaffen, die jetzt Europa helfen, sich selber zu schaffen. In diesem Sinne sei Napoleon auch ein Europäer.

Charles Napoléon ist ein Manager und Intellektueller von lässiger Eleganz. Nie würde es ihm einfallen, mit seinem großen Namen zu kokettieren. Im Gegenteil. Natürlich wird der Mann von der so genannten Yellow Press gejagt. Aber mit der Boulevardmeute zu reden lehnt er ab, erkundigt sich stets genau, wozu ein Interview dienen soll und zeigt gerne auch einmal die kalte Schulter.

Ein bisschen bizarr findet er es schon, dass sein Ahne im Rahmen des deutsch-französischen Jahres in Jena recht prunkvoll und beinahe herzlich gefeiert wird - während Chirac und Villepin es abgelehnt haben, des Kaisers der Franzosen würdig zu gedenken.

"Frankreich ist dabei, seine Geschichte zu vergessen", meint Charles Napoléon. Die Grande Nation sei verunsichert, was ihre eigene historische Rolle angeht - etwa unter der Nazi-Besatzung mit der angeblich flächendeckenden Résistance. Dem will er in einem neuen Buch auf die Sprünge helfen, mit frischen Gedanken zur Integration von Migranten und einem Plädoyer für ein multikulturelles Europa. Die Namen Jürgen Habermas und Ulrich Beck fallen häufig, auch die Türkei sieht Charles Napoléon als Teil Europas.

Nun wird in Jena auf seine Initiative ein Bund der europäischen Städte ins Leben gerufen, die alle mit Napoleon in Berührung gekommen sind - von Paris bis Waterloo. "Erst wenn Europa seine Geschichte mit den unterschiedlichen Perspektiven eines Tages in einem gemeinsamen Buch schreiben kann, wird es eine europäische Nation geben."

Schon existiert ein Pass, der den Besuchern der "napoleonischen Städte" Vergünstigungen gewährt. Sitz des Vereins ist natürlich dort, wo Napoleon geboren ist, wo auch Charles Napoléon jahrelang in der Kommunalpolitik gearbeitet hat und wo er gelegentlich noch Besucher liebevoll und kenntnisreich herumführt: auf Korsika, in der Hauptstadt Ajaccio, wo für Napoleon alles begann.

© SZ vom 14.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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