Frank-Walter Steinmeier:Vergiftete Grüße aus Kairo

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Ein Anruf, ein Fußtritt aus Freude und ein kurzes Statement: Im fernen Ägypten schaltet der Außenminister bei der BND-Affäre auf Offensive um.

Nico Fried

Durch die Lobby des Four Seasons Hotels in Kairo plätschert Klaviermusik, als sich Frank-Walter Steinmeier am Mittwochabend kurz vor Mitternacht in einen grün und golden schimmernden Sessel fallen lässt. Ein entspanntes Grinsen liegt in seinem Gesicht. Der Minister genehmigt sich eine bröselige Käsestange und ein kleines Glas Rotwein. Auf dem langen und überraschend steinigen Weg vom ehemaligen Kanzleramtsminister der rot-grünen Regierung zum neuen Außenminister der großen Koalition war das heute zweifellos einer der besseren Tage für ihn.

Die Neuigkeit aus Berlin ist zwei Stunden alt. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags hat zwei Agenten des Bundesnachrichtendienstes angehört. Die beiden Herren haben den Abgeordneten versichert, dass sie der US-Armee im Irak-Krieg nicht bei der Vorbereitung eines Bombenangriffs auf ein Restaurant im Bagdader Stadtteil Mansur geholfen haben. Und anscheinend haben ihnen das alle Mitglieder des PKG geglaubt, auch jene von FDP, Grünen und Linkspartei. Für Steinmeier, der einst im Kanzleramt für die Geheimdienste zuständig war, ist das eine gute Nachricht. Eine verdammt gute Nachricht sogar.

Mit dem, was er jetzt zu sagen hat, möchte er nicht zitiert werden, der Außenminister hält sich an den alten Brauch, innenpolitische Vorgänge nicht aus der Ferne zu kommentieren. Es ist freilich auch gar nicht allzu viel, was er zur Sache fallen lässt, und zu irgendeiner Art von Euphorie lässt er sich schon gar nicht hinreißen. Noch droht ja trotz allem ein Untersuchungsausschuss, was für Steinmeier eine zeitaufwändige Veranstaltung wäre, die ihn wohl noch länger davon abhalten würde, nur noch Außenminister zu sein. Und was sie für das politische Renommee bedeuten kann, durfte Steinmeier erst vor ein paar Monaten an seinem Vorgänger Joschka Fischer aus nächster Nähe erleben.

Merkel machte die große Außenpolitik

Als wolle er demonstrieren, wie dringend notwendig es sei, sich stattdessen um die Weltläufte zu kümmern, spricht Steinmeier denn auch alsbald wieder über Iran und sein Atomprogramm. Und doch hat es auf dieser Reise einen Moment gegeben, von dem noch die Rede sein wird, an dem zu erkennen war, wie sehr die innenpolitische Bedrohungslage den scheinbar so sachlich-kühlen Steinmeier unter Spannung setzt. Es war nur eine kleine Begebenheit, doch gemessen an Steinmeiers üblicher Selbstbeherrschung war es eine Art Gefühlsausbruch.

Von allen Ministern im Kabinett Merkel hat Frank-Walter Steinmeier wahrscheinlich den intensivsten Start erlebt. Kaum war er im Amt, erhitzten Berichte über geheime CIA-Flüge und der konkrete Fall des von den Amerikanern nach Afghanistan verschleppten Deutschen Khaled el-Masri die Gemüter. Dann wurde im Irak Susanne Osthoff entführt. Dann wurden Vernehmungen deutscher Ermittler in Syrien und Guantanamo ruchbar. Dann wurde die Familie Chrobog im Jemen entführt. Dann eskalierte der Atom-Konflikt mit Iran. Und dann tauchte der Vorwurf auf, BND-Agenten hätten mit amerikanischen Kollegen im Irak kooperiert. Genau genommen hat Steinmeier seit Wochen zwei Posten: schwarz-roter Außenminister und rot-grüner Nachlassverwalter.

Die große Außenpolitik aber machte die Kanzlerin. Angela Merkel rettete den EU-Gipfel, Angela Merkel flog nach Washington und wurde für ihren Auftritt belobigt, Angela Merkel flog nach Moskau und wurde für ihren Auftritt bejubelt. Der Außenminister wurde immer mehr zu einer Art Hilfssheriff, verstrickt in die Vergangenheit, in der Gegenwart noch nicht wirklich angekommen. In der alten Regierung hatte er den Ruf des Krisenmanagers, der nie den Überblick verliert. Jetzt, schon nach wenigen Wochen, war dieses Image lädiert.

Von dieser misslichen Lage ist auch die Rede, als Frank-Walter Steinmeier an diesem Mittwoch nach Kairo fliegt. Macht nicht gerade diese Reise sein politisches Zwitterdasein überdeutlich? Eigentlich wollte der Außenminister von Ägypten aus weiter nach Israel, in die palästinensischen Gebiete und nach Jordanien. Ein Antrittsbesuch in jener so unendlich komplizierten Region sollte es sein, die seinem Vorgänger eine Art zweites Zuhause und Quell vielfacher Anerkennung wurde. Steinmeier aber kommt nur bis Kairo, den Rest der Reise muss er verschieben, weil der ehemalige Kanzleramtsminister am Freitag im Bundestag erwartet wird.

Doch Steinmeier beschwert sich nicht. Er steht im Flugzeug, umringt von den mitreisenden Journalisten, neben seinen silbernen Haaren leuchtet das Schild "Exit". Er hört sich die Fragen an, denkt stets kurz nach und antwortet in immer gleichem, ruhigem Ton. Das verdrießliche Lamento gehört ebenso wenig zu seinem Repertoire wie die überschäumende Freude. Die Spanne öffentlich zur Schau getragener Regungen passt bei ihm für gewöhnlich zwischen Daumen und Zeigefinger. Er sei eben "ein dezenter Mensch", sagt einer aus seinem Mitarbeitertross. Man könnte es auch undurchschaubar nennen.

So einem fällt das Diplomatische nicht schwer. Seine Begrüßung mit dem ägyptischen Außenminister fällt freundlich aus, mit beiden Händen ergreift Steinmeier die Hand des Kollegen, den er nie zuvor gesehen hat. Souverän wiederholt er in der Pressekonferenz nach dem Gespräch die deutsche Position gegenüber Iran, ohne den Ägypter in Verlegenheit zu bringen, der aus Rücksicht auf muslimisch-arabische Empfindlichkeiten jeden Hauch von Kritik an Teheran sorgsam überlegen muss.

Und dann folgt jener kurze Moment im Opernhaus von Kairo. Die deutsche Botschaft hat zum Empfang geladen, weil am nächsten Tag die Buchmesse mit Deutschland als Gastland eröffnet wird. Im Innenhof hat Steinmeier eben eine kurze Ansprache zur Begrüßung gehalten. Für die Gäste gibt es jetzt Essen aus Deutschland, Bratwürste, Kartoffeln und Kraut. Für den Außenminister aber gibt es gute Nachrichten aus Deutschland. Auf seinem Handy meldet sich Olaf Scholz, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Scholz berichtet dem Minister das Ergebnis der PKG-Sitzung.

"Da werden wir einen Strich unter die Woche ziehen"

Das Telefonat dauert nur ein paar Minuten, Steinmeier zieht sich zurück in den Säulengang des Innenhofes, und doch ist aus der Entfernung eine erstaunliche Veränderung an ihm zu beobachten: Er steht nicht ruhig da. Er geht auf und ab. Und dann, als er hin und her pilgernd wieder einmal vor der Wand des Säulenganges steht, dreht er sich um und tritt mit dem Fuß rückwärts heftig gegen die Mauer. Es ist ein seltsames Gebaren für einen Außenminister in einem so ehrwürdigen Gebäude. Vor allem aber ist es eine eindeutige Gefühlsregung, ein Tritt der Erleichterung. Es ist sozusagen die Boris-Becker-Faust des Frank-Walter Steinmeier.

Am Donnerstagnachmittag steht der Außenminister wieder in einem Hotelgarten. Das ägyptische Klima ist mild, und mild ist auch die Stimmung Steinmeiers. Er hat es sich jetzt anders überlegt. Kurz vor seinem Abflug nach Deutschland äußert er sich jetzt doch öffentlich zur Innenpolitik. Ob er erleichtert sei, wird er im Schatten ägyptischer Palmen gefragt. Die Antwort ist keine Antwort: "Sie können davon ausgehen, dass ich mich auch hier über die Vorgänge in Berlin auf dem Laufenden gehalten habe." Mehr sagt er nicht zu seinem Gefühlshaushalt. Auffallend ist allerdings schon, dass das Lächeln vom Vorabend mittlerweile wie in sein Gesicht gemeißelt erscheint.

Steinmeier schaut jetzt nach vorne, er ahnt, dass es womöglich noch eine Chance gibt, den Untersuchungsausschuss zu verhindern. An die Adresse der Grünen schickt er vergiftete Grüße aus Kairo: Er verstehe jedenfalls nicht, warum jene, die früher bereit waren, die Politik der Regierung mitzutragen, sich nun mit denen zusammenschlössen, die den Untersuchungsausschuss aus ganz anderen Motiven wollten.

Erste Keile treibt der Außenminister da in die Phalanx der Opposition. Und in seiner Rede im Bundestag wird er genau das wohl noch einmal versuchen. Was genau er sagen will, verrät der Minister noch nicht. Die Rede soll erst auf dem Rückflug nach Berlin entstehen. Sein Programm für Freitagabend hat er dagegen schon vor Augen: "Da werden wir mal einen Strich unter diese Woche ziehen und sehen, was eigentlich noch übrig geblieben ist." Dann entschwindet Steinmeier. Er hat jetzt wieder zu tun. Als Außenminister.

© SZ vom 20.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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