Folter-Debatte:"Sie können sich die Qualen nicht vorstellen"

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Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter, über den schwierigen Kampf für Menschenrechte, die traurige Bilanz von US-Präsident Bush, Folterkeller in Afrika und warum Minister Schäuble zu weit geht.

Christoph Schäfer

Professor Manfred Nowak, 57, hat den Lehrstuhl für Verfassungsrecht und internationale Menschenrechte an der Universität Wien inne. Zwischen 1996 und 2003 arbeitete der Jurist als Richter des Gerichtshofs für Menschenrechte in Bosnien-Herzegowina. Im Dezember 2004 wurde er von der UN-Menschenrechtskommission zum Sonderberichterstatter für Folter ernannt.

Weltweiter Kämpfer für die Menschenrechte: Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Professor Nowak, wie fällt Ihre Bilanz aus - sind die Menschenrechte weltweit auf dem Vormarsch oder auf dem Rückzug?

Manfred Nowak: Die Menschenrechte haben nach dem 11. September 2001 einen dramatischen Rückschlag erlitten. Dogmen wie das absolute Verbot der Folter wurden plötzlich für einen "guten Zweck" in den Hintergrund gedrängt. Auch in den Vereinigten Staaten waren 2002 und 2003 die schlimmsten Jahre, in denen bestimme Foltermethoden gegen mutmaßliche Terroristen offiziell zugelassen und praktiziert wurden.

Sehr durchsichtige "Rechtsgutachten" stellten dort plötzlich Grundfesten der internationalen Menschenrechte in Frage. Aus diesem Tal sind wir Gott sei Dank heraus. Die Lage beruhigt sich wieder.

sueddeutsche.de: Welche Staaten zählen zu den größten Feinden der Menschenrechte?

Nowak: Leider sind es sehr viele, sodass jede Nennung einzelner Staaten willkürlich erscheint. In Nigeria beispielsweise, das ich vor einem Jahr besucht habe, ist es äußerst schwierig, die Menschenrechte durchzusetzen, weil der ganze Polizeiapparat und die Justiz korrupt sind. In diesem Land steht Folter auf der Tagesordnung. Das gilt auch für manche postsowjetische Staaten und für etliche Länder im Mittleren Osten und in Afrika.

Es gibt aber auch gegenläufige Entwicklungen. In Indonesien, wo die Menschenrechte lange Zeit mit Füßen getreten wurden, hat sich in letzter Zeit doch einiges zum Besseren entwickelt.

sueddeutsche.de: Was ist mit Russland?

Nowak: Russland macht mir sehr große Sorgen. Vor allem in den Republiken im Kaukasus gibt es nach wie vor systematische Menschenrechtsverletzungen. Außerdem hat die russische Regierung meine geplante Inspektion einen Tag vor Reisebeginn faktisch abgesagt.

sueddeutsche.de: Gibt es bei den Menschenrechten auch Vorzeige-Staaten?

Nowak: Norwegen, Schweden, Finnland und auch Kanada haben sicherlich Vorbild-Charakter. Allerdings sind die Menschenrechte in keinem Staat der Welt zu hundert Prozent umgesetzt. Das ist nur ein Ziel, das man nie ganz erreichen kann. Als Faustregel lässt sich sagen: Je demokratischer ein Staat ist, desto besser werden auf seinem Territorium die Menschenrechte geschützt.

sueddeutsche.de: Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland ein?

Nowak: Im Großen und Ganzen achtet Deutschland die Menschenrechte natürlich. Wie in allen anderen EU-Staaten gibt es aber auch in Deutschland Probleme im Umgang mit Nicht-EU-Staatlern. In dieser Frage herrscht eine latente Fremdenfeindlichkeit, die sich auch in der restriktiven Asylpolitik der EU widerspiegelt. Die Art und Weise, wie vor allem Afrikaner derzeit in Europa behandelt werden, ist aus menschenrechtlicher Sicht problematisch.

sueddeutsche.de: Sie inspizieren oft die Haftbedingungen in fremden Ländern. Welcher Fall hat Sie bisher am meisten schockiert?

Nowak: Der abscheulichste Folterraum, den ich je gesehen habe, war im Hauptquartier der Kriminalpolizei in Lagos. Der ist sogar vor Ort als "Folterraum" bezeichnet worden. Dort wurden Menschen unter erbärmlichen Bedingungen wochenlang gefangen gehalten, bis sie in ihre Zellen gekommen sind. Die Insassen wurden vor den Augen der anderen schwerst gefoltert - nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder.

sueddeutsche.de: Was hat die Polizei mit den Betroffenen gemacht?

Nowak: Sie haben die in Nigeria gängige Foltermethode angewendet, einem Menschen aus kurzer Distanz ins Bein zu schießen und ihn ohne medizinische Behandlung seinem Schicksal zu überlassen. Diesem Menschen fault dann bei lebendigem Leib der Fuß ab. Sie können sich die Qualen und den Gestank überhaupt nicht vorstellen.

sueddeutsche.de: Was machen Sie, wenn sie solchen Menschen begegnen?

Nowak: Ich versuche natürlich, ihnen zu helfen. In Nigeria habe ich mich sofort mit dem höchsten Polizeibeamten in Verbindung gesetzt und ihm gesagt, dass diese Gefangenen sofort zur Amputation ins Krankenhaus müssen. Das hat er mir zumindest zugesichert. Allerdings - ich habe aber noch keine zuverlässigen Beweise dafür - dürften diese Personen in der Zwischenzeit gestorben sein.

sueddeutsche.de: Können Sie bei Ihren Reisen abends immer einschlafen?

Nowak: Nicht immer.

sueddeutsche.de: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble will Hinweise auf geplante Terroranschläge auch dann nutzen, wenn nicht geklärt ist, ob die Informationen unter Folter herausgepresst wurden. Sollte er seine Entscheidung überdenken?

Nowak: Herr Schäuble geht mir zu weit. Er sagt: Die Polizei darf fragliche Informationen generell verwenden. Die UN-Konvention gegen Folter bestimmt jedoch: Die Beamten dürfen sie lediglich präventiv verwenden, beispielsweise um bevorstehende Anschläge zu verhindern. Sobald die Informationen im Rahmen eines geordneten Straf- oder Verwaltungsverfahrens eingesetzt werden sollen, müssen die Behörden aber prüfen, dass sie nicht durch Folter zu Stande kamen. Und wenn es daran Zweifel gibt, dürfen sie sie nicht als Beweis verwenden.

sueddeutsche.de: In der Diskussion um Foltermethoden geht es in jüngster Zeit auch um das sogenannte Waterboarding. Ist das eine Foltermethode?

Nowak: Natürlich.

sueddeutsche.de: US-Präsident George W. Bush sagt, es sei keine Folter.

Nowak: Er hat Unrecht. Mitarbeiter des US-Justizministeriums haben für ihn zwar eine Definition von Folter gebastelt, nach der Folter nur dann vorliegt, wenn sie schwere physische Schäden verursacht. Mentale Folter würde nur gegeben sein, wenn Menschen ihr Leben lang psychisch behindert bleiben. Diese enge Definition stimmt mit dem Völkerrecht definitiv nicht überein.

sueddeutsche.de: Wie würden Sie die generelle Haltung der US-Regierung zur Frage der Menschenrechte beschreiben?

Nowak: Unter Bill Clinton sind viele positive Entwicklungen wie das Strafgericht für Ex-Jugoslawien angestoßen worden. Unter Bush hat sich das sehr verändert - egal, ob es um den Kampf gegen den Terror, die Todesstrafe oder den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ging. Wir hatten wohl niemals zuvor eine US-Regierung, die sich so sehr gegen Fortschritte bei den Menschenrechten gestellt hat. Gott sein Dank wird sie nicht mehr lange im Amt sein, sodass dieses traurige Kapitel in der Geschichte Amerikas bald der Vergangenheit angehören wird.

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