Flüchtlingsabkommen:Gezerre um die Quote

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Welches EU-Land nimmt wie viele Flüchtlinge auf? Die Antwort könnte einfach sein, es gibt bereits Beschlüsse. Doch Europa streitet weiter.

Von Thomas Kirchner, Luxemburg

Es ist ein leicht bizarrer Streit, der am Donnerstag am Rande des Treffens der EU-Innenminister in Luxemburg ausgetragen wurde, aber er sagt einiges aus über die weiterhin große Zerrissenheit der Europäer in der Flüchtlingskrise.

Mit Ankara hat die EU vereinbart, für jeden Syrer, den die Türkei aus Griechenland zurücknimmt, einen Syrer aus der Türkei nach Europa zu fliegen. Aber welches EU-Land nimmt nun wie viele Flüchtlinge auf? Die Antwort könnte leicht sein. Sie wurde schon im Juli 2015 gegeben. Damals einigten sich die EU-Staaten auf die Umsiedlung von 20 000 Flüchtlingen direkt aus den Krisengebieten. Weil auch Länder wie Norwegen und die Schweiz mitzogen, wurden es sogar mehr als 22 000. Jedes Land bekam gemäß dem Vorschlag der EU-Kommission eine bestimmte Quote zugeteilt, die sich nach Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft und anderen Kriterien richtet. Mehrere Tausend wurden schon aufgenommen. Auf das verbleibende Kontingent von etwa 18 000 Flüchtlingen wollen die EU-Staaten bei der Eins-zu-eins-Lösung mit der Türkei zurückgreifen (in Reserve stehen weitere 54000 aus einem anderen Beschluss) - und müssten sich wegen der Verteilung eigentlich nicht schon wieder in die Haare geraten.

Eine erste Aussprache der Minister verlief "katastrophal"

Aber nichts ist mehr leicht in der EU. Es gab gleich wieder Protest, als die niederländische Ratspräsidentschaft nun versuchte, die Mitgliedstaaten auf der Basis der beschlossenen Quoten zu konkreten Aufnahmeversprechen für die kommenden vier Monate zu verpflichten. Mit dem Schritt soll der Türkei signalisiert werden, dass die EU ihren Teil der Abmachung auch einzuhalten gedenkt. Die Zahlen, um die es geht, sind überschaubar: Von den 6800 Flüchtlingen auf den griechischen Inseln, die zurückgeführt werden sollen, sind etwa 40 Prozent Syrer, das wären 2700. Die Slowakei und Polen sperrten sich, sagten EU-Diplomaten, während Frankreich das Anliegen der Niederländer unter Verweis auf die schon beschlossene Quote ablehnt. Die Lösung: Deutschland und andere Staaten werden ihre Quoten vorerst übererfüllen. "Einige sind besonders konstruktiv", so ein EU-Diplomat, "weil sie unbedingt wollen, dass das Abkommen mit der Türkei zu einem Erfolg wird."

Der Streit wird vermutlich bald beigelegt, lässt aber Schlimmes erwarten hinsichtlich der Frage, die dringend geklärt werden muss: Wer nimmt wie viele Flüchtlinge auf, wenn die Eins-zu-eins-Lösung ausläuft und weitere Hunderttausende von der Türkei nach Europa gebracht werden sollen? So wurde es im Deal verabredet, und so erwartet die Türkei das auch. An dieses Thema wollen sich die Europäer derzeit noch nicht heranwagen. Und noch viel schwieriger wird es ihnen fallen, die Dublin-Regeln zur Erstaufnahme von Asylbewerbern zu reformieren, die sich als inadäquat erwiesen haben. Denn auch hier stellt sich die Verteilungsfrage. Die EU-Kommission hat kürzlich zwei Optionen vorgelegt: Bei der einen wird das bisherige Modell beibehalten und um Quoten ergänzt, bei der zweiten würde das ganze Asylsystem auf die europäische Ebene verlagert, auf der dann über die Verteilung der Flüchtlinge entschieden würde. Eine erste Aussprache der Minister verlief laut Teilnehmern "katastrophal". Eine Annäherung sei nicht ansatzweise zu erkennen. Ungarn präsentierte stattdessen einen "Zehn-Punkte-Plan". Die Kernbotschaft: Alle Flüchtlingsprobleme sollen künftig außerhalb der EU-Strukturen behandelt werden. Und jedes Land soll das Recht erhalten, keine Flüchtlinge aufzunehmen. "Darüber können wir jetzt Monate diskutieren", empörte sich der luxemburgische Migrationsminister Jean Asselborn, "aber das bringt uns kein Jota weiter." Er habe nie gedacht, "dass man mal auf einen Punkt zusteuert, wo derart Prinzipielles infrage gestellt wird".

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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