Flüchlingspolitik:Versammelte Frustration

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Bayern bringt neu angekommene Flüchtlinge in zentralen Einrichtungen unter. Das Modell isoliert Schutzbedürftige anstatt ihnen zu helfen. Es taugt nicht als Vorbild für die anderen Länder.

Von Bernd Kastner

Ein Anker schützt vor dem Abtreiben, er verspricht Halt. Wer seinen Anker auswirft, darf Sicherheit erwarten, wenn um ihn herum die Wellen toben. "Anker" nennen Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag jene Erstaufnahme-Unterkünfte, in denen sie bald in ganz Deutschland neu angekommene Flüchtlinge einquartieren wollen. Der Name leitet sich zwar nicht vom Schiffsgerät ab, er ist eine Art Abkürzung für die zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen, aber wie der echte Anker verspricht das Konzept Halt und Sicherheit.

Tatsächlich ist dessen Grundgedanke sinnvoll. In einem solchen Zentrum sollen die relevanten Behörden unter einem Dach arbeiten, Asyl-Bundesamt neben Ausländerbehörde und Arbeitsagentur. Flüchtlingen erspart das lange Irrwege durch die Stadt und es beschleunigt die Verfahren. So können sich die einen rasch auf ihr Leben in Deutschland einstellen. Und für die anderen ist ein schnelles Ende mit Schrecken oft besser als lange Unsicherheit. Soweit die Theorie.

In der Praxis aber drohen die geplanten Anker-Zentren für sehr viele Betroffene ein Schrecken ohne Ende zu werden. Das zeigen Erfahrungen in den Unterkünften im CSU-regierten Bayern, die als Vorbild dienen. Das fängt mit der Größe an: Sobald tausend oder mehr Menschen zusammenleben müssen, ist das kaum mehr zu managen. Die eingeschränkte Privatsphäre erhöht die Spannungen unter den Bewohnern; manche kommen auf dumme Gedanken. Nachbarn der Großunterkunft in Bamberg singen ein Lied davon, und die AfD freut sich über neue Wähler.

Längst nicht alle Bewohner dürfen nach wenigen Wochen mit einem Bleiberecht ausziehen. Ein großer Teil muss ein, zwei Jahre dort ausharren, sei es, weil das Verfahren so lange dauert, sei es, weil die Abschiebung nicht funktioniert, woran nicht immer der Flüchtling schuld ist. Irgendwann empfinden selbst die Geduldigsten die Camp-Regeln - Gemeinschaftsverpflegung, Arbeitsverbot, Mehrbettzimmer, Zimmerkontrollen - als Schikane. So gedeiht noch mehr Frust.

Die zentralen Einrichtungen schotten Schutzbedürftige ab, anstatt sie zu integrieren

Hinzu kommt, dass bayerische Behörden versuchen, den Kontakt zu Einheimischen zu minimieren. Kürzlich musste ein Gericht die Bezirksregierung von Oberbayern zwingen, Camp-Kinder eine normale Schule besuchen zu lassen. Dieselbe Behörde hat unabhängigen Rechtsberatern vom Flüchtlingsrat und von Amnesty International verboten, das Transitzentrum Ingolstadt zu betreten, um den Angekommenen das komplizierte Verfahren zu erklären. Vor der Tür muss die Beratung stattfinden, am Straßenrand. Das ist eines Rechtsstaats unwürdig.

Es ist zu befürchten, dass ein Innen- und Heimatminister Horst Seehofer das bayerische CSU-Erstaufnahme-Modell via große Koalition bundesweit exportieren wird. Viele Menschen werden in den Anker-Zentren keine Ruhe und Sicherheit finden. Das ist ein Problem gerade für jene, die irgendwann doch Schutz zugesprochen bekommen und legal in Deutschland bleiben dürfen; fast jeder Zweite, der gegen seinen negativen Asylbescheid klagt, gewinnt vor den Verwaltungsgerichten. Nach vielen Monaten der Ausgrenzung in einem Anker-Zentrum werden es diese Schutzberechtigten sehr schwer haben, Halt zu finden in Deutschland. Dieser Halt, dieses Vertrauen aber sind Voraussetzung für Integration.

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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