Flucht aus dem Libanon:"Wenn Platz ist, akzeptieren wir Deutsche"

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Großbritannien, Frankreich und Griechenland bringen ihre Bürger per Schiff in Sicherheit - Berlin charterte Busse

Die meisten europäischen Staatsangehörigen im Libanon kommen aus Frankreich und Großbritannien. Allein 17.000 Menschen mit französischem Pass waren dort gemeldet, viele von ihnen besitzen zudem auch die libanesische Staatsbürgerschaft. Hinzu kommen etwa 5000 Touristen.

Insgesamt hatten etwa 8000 Franzosen um eine Evakuierung nachgesucht, sie konnten sich in offene Listen des Konsulats für eine "freiwillige" Abreise ("candidats volontaires") eintragen.

In London schätzt man, dass sich insgesamt etwa 22.000 Briten im Libanon aufhalten, knapp die Hälfte mit doppelter Staatsbürgerschaft.

Frankreich, Großbritannien und Griechenland haben Schiffe gesandt, um ihre Staatsbürger abzuholen. Dass die Deutschen im Libanon von der Botschaft vor allem mit Bussen über Land geschickt wurden, war Anlass zu Kritik und zu Rufen nach europäischer Koordination.

Angebot und Nachfrage auf dem Hilfe-Markt

Die EU indes hat keine Schiffe oder Flugzeuge, mit denen sie ihre Bürger aus dem Kriegsgebiet holen könnte. Aber sie besitzt ein erprobtes Netzwerk, über das ihre Mitgliedstaaten die jeweiligen nationalen Anstrengungen koordinieren und verbessern können.

In täglichen Telefonkonferenzen informieren sich die Länder über den Stand der Evakuierung und über ihre Probleme. Das ist dann wie ein Markt, auf dem sich Angebot und Nachfrage ausgleichen. Deutschland etwa erfährt so, dass Griechenland noch Plätze auf einem Schiff frei hat, die Berlin nutzen könnte.

Offiziell ist dieses Netzwerk dezentralisiert, doch funktionieren kann es nur, weil es von dem "Lagezentrum" organisiert wird, das dem EU-Außenbeauftragten Javier Solana untersteht. Was die wenigsten wissen: Jeder EU-Bürger hat das Recht, vom Konsulat eines Mitgliedslands betreut zu werden. Europäer, deren Land keine diplomatische Vertretung im Libanon hat, können sich also etwa an die deutsche oder französische wenden und dürfen nicht abgewiesen werden.

Eine humanitäre Geste

In London reagiert man pikiert auf Vorwürfe, die Kapitäne auf den britischen Kriegsschiffen weigerten sich, deutsche Staatsbürger aus dem Libanon in Sicherheit zu bringen.

"Wenn Platz ist, akzeptieren wir Deutsche", erklärte eine Sprecherin des Außenministeriums. "Das ist auch schon der Fall gewesen." Dabei handele es sich um eine rein humanitäre Geste; bilaterale Abkommen, die zur Hilfeleistung verpflichten, gibt es nicht.

Großbritannien hat bislang drei Kriegsschiffe vor die libanesische Küste entsandt; drei weitere - darunter der Flugzeugträger Illustrious - werden noch erwartet. Die York, die Gloucester und die Bulwark haben bisher mehr als 4000 Menschen nach Zypern gebracht.

Auf der Mittelmeerinsel unterhält Großbritannien die beiden Militärstützpunkte Akrotiri und Dhekelia, die auch von den USA und den EU-Staaten bei den Rettungsbemühungen für ihre Bürger genutzt werden können.

Das französische Außenministerium hatte als erstes eine betagte griechische Fähre, Iera-Petra, gechartert, mit der etwa 900 Passagiere von Beirut nach Larnaka gebracht wurden.

Es traf sich, dass Premierminister Dominique de Villepin als erster Regierungschef gerade seinen Erkundungsbesuch in Beirut absolvierte und für ein paar Minuten an Bord ging, um den Scheidenden Mut zuzusprechen.

Hubschrauber sollen die Eingekesselten retten

Inzwischen hat die französische Marine auch die Fregatte Jean de Vienne eingesetzt, die am Mittwochabend von Beirut kommend im Hafen von Larnaka eintraf und mehr als 300 Franzosen, Belgier und Portugiesen an Bord hatte.

Das Landungsboot Siroco wurde am Donnerstag erwartet. Es hat vier Hubschrauber an Bord. Zwei weitere Hubschrauber sind bereits in Larnaka stationiert, sie könnten eingesetzt werden, um Franzosen, die im Süden Libanons blockiert sind, herauszuholen.

Spezialeinheiten der französischen Armee stehen ebenfalls bereit um zu helfen. Aber so weit ist es noch nicht. Die französischen Behörden schätzen, dass zwischen 150 und 200 ihrer Landsleute im Süden in Gefahr sind.

Die griechischen Behörden haben bis Donnerstag fünf Einsätze im Libanon geleistet. Griechische Schiffe brachten nach Angaben des Außenministeriums in Athen bislang 1700 Menschen in Sicherheit, unter ihnen 500 Griechen und 1200 Bürger anderer Nationalität.

Mehr als 30 Länder hätten Athen um Hilfe gebeten, hieß es dort, und Griechenland habe stets positiv auf die Anfragen reagiert. Die griechischen Schiffe, welche die Flüchtigen nach Zypern brachten, waren zum Teil Boote der griechischen Marine, zum Teil aber auch einfache Fährboote wie eben die Iera-Petra.

"Griechische Schiffe wurden gemietet von Frankreich, Schweden und Dänemark", sagte ein griechischer Diplomat der Süddeutschen Zeitung. "Von Deutschland kam keine Anfrage." Ein konkretes Abkommen zwischen Athen und Berlin gebe es nicht: "Aber wenn jemand fragt, sind wir natürlich bereit, zu helfen."

"Der Landweg ist sicherer"

In der deutschen Botschaft in Ankara hieß es, Deutschland habe auch deshalb mehr auf eine Evakuierung mit Bussen gesetzt, weil man die Landwege als sicherer eingeschätzt habe. "Gerade die Hafenstädte werden stets bombardiert."

In einem solchen Falle seien Busse auch flexibler: "Wenn Sie ein Schiff chartern und etwas läuft schief, dann können 3000 Plätze auf einen Schlag weg sein und es dauert drei weitere Tage bis man Ersatz besorgt."

© SZ vom 21.07.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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